Aufrüstung zum Bürgerkrieg. Zur rechtsextremen Gewalt in der Sprache

Ein Gastbeitrag von Andreas Peham
20. Februar 2019 — Rechtsterror

Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) wusste 2015 unter dem Titel „TBC, Lepra, Ruhr – was kommt noch?“ von „ansteckende[n] Krankheiten, die mit der Flut an Migranten nach Österreich kommen“ zu berichten.1 An solchen Behauptungen interessiert nicht ihr fehlender Wahrheitsgehalt: Sie gehören zu jenen zahllosen feindseligen Gerüchten über die fremd Gemachten, die Rassismus und Antisemitismus seit jeher kennzeichnen und im Internetzeitalter nur noch schneller zirkulieren. Weil es sich hierbei nicht einfach um korrigierbare Irrtümer handelt, verpuffen die Hinweise auf die widersprechende Realität so wirkungslos. Vielmehr werden solche Behauptungen gegen jede anderslautende Evidenz geglaubt, weil sie in ihrer affektiven Struktur dem Gefühlshaushalt der AdressatInnen entgegenkommen. Im Zentrum des kritischen Interesses steht darum die Frage nach dem subjektiven (Lust-)Gewinn am Rassismus und Antisemitismus. Dabei wäre aber die psychoanalytische Basiserkenntnis, wonach auch negative Emotionen wie Angst oder Hass Lust bereiten können, in Erinnerung zu rufen. In obigem Beispiel ist es die (neurotische) Angst vor Krankheit und Ansteckung, die zu politischen Zwecken mobilisiert wird. Vergrößert werden sollen solche irrationalen Ängste durch Katastrophenmetaphern: Die Verknüpfung von Migration und Flucht mit „Flut“ oder „Welle“ hat darum System – was es erlaubt, den Rechtsextremismus als „Angstpolitik“ zu charakterisieren.2

Dass die extreme Rechte, die wie keine andere politische Kraft nicht auf rationale Argumentation, sondern auf Mythenbildung und Gefühle (Ressentiments) setzt, in der Wahl ihrer agitatorischen Mittel vor allem auf das Bildhafte und Stereotype zurückgreift, liegt in der Sache selbst begründet. Rechtsextremismus betreibt eine Politik der Gefühle, die nicht an die Vernunft, sondern an den gesellschaftlich deformierten Alltagsverstand appelliert und vor allem „Begriffsfetische“3 und Mythen oder Kollektivsymbole4 produziert. Der Stellenwert einer Politik des Symbolischen für die extreme Rechte kann gar nicht überschätzt werden. Subjekt ihrer Anrufungen ist weder das Individuum noch die Interessensgruppe (Klasse), sondern die als „natürlich“ oder „organisch“ bezeichnete (homogene) Gemeinschaft, das „Volk“, das permanent als Masse inszeniert wird. Denn erst durch den massenhaften Glauben an sie werden Mythologeme wahr und wirksam oder Gemeinschaft stiftend. Dass Massen und insbesondere pathologische Gruppen (Hetzmassen) heute in der Regel virtuelle sind, verkleinert die Erfolgsaussichten symbolischer Politik nicht, zumal extreme Rechte schnell lernten, sich die Virtualität des Internets nutzbar zu machen.
Das Medium, das solcher Gemeinschaftsbildung entgegenkommt, ist also das Internet bzw. sind die Neuen Sozialen Netzwerke. Es ist kein Zufall, dass Heinz-Christian Strache der beliebteste Politiker auf facebook ist. Mit Rainer Just staune ich darüber, „wie sich im Raum der Schrift, die ursprünglich für Bildung und Aufklärung steht, plötzlich ein Raum der Dummheit öffnet“ und „über die Tatsache, dass aus einem Überfluss an Texten nicht ein höheres Maß an Intelligenz, sondern Verrücktheit erwächst.“5 Das Staunen lässt sich aber in Erkenntnis umwandeln, wenn wir berücksichtigen, welche Spezifika der „Schrift“ oder Sprache im Rechtsextremismus zukommen.

Weil rechtsextreme Diskurse keine Informationen und Argumente zur Verfügung stellen, sondern in Endlosschleifen die von allen anderen – zuvorderst von der „Lügenpresse“ – unterdrückten „Wahrheiten“ einhämmern, sind sie durch den Vorzug oratorischer Formen gekennzeichnet. Sie wenden sich auch in schriftlicher Form nicht an LeserInnen, sondern an ZuhörerInnen. Diese Eigenschaft vermag es auch zu erklären, warum das Internet und insbesondere die Neuen Sozialen Medien so attraktiv für Rechtsextreme sind. Sie erlauben es nämlich jenseits der vermittelten und zeitversetzten Beziehung über den Text vielmehr direkt mit dem Publikum in Kontakt zu treten und eine (virtuelle) Masse zu bilden. Das Gerücht (über die unheimlichen oder fremden Fremden) stellt eine wesentliche Brücke zwischen dem Individuum und der Masse dar: Letztere bildet sich gerade im Internetzeitalter durch den gemeinsamen Glauben an die Wahrheit des Gerüchts. Die virtuelle Masse schafft sich – unterstützt durch die Programmierungen (Algorithmen) der Internetkonzerne wie facebook – ein paralleles Universum, das sich zunehmend von der sozialen Wirklichkeit abschottet und in welchem eine eigene (Herren-)Moral herrscht („Echokammern“). Je nach Grad des Fanatismus, mit welchem dem Massen-Ideal gerecht zu werden versucht und die Eigengruppe selbst idealisiert wird, kommt es in diesen virtuellen Massen ebenfalls zu den schon von Freud beobachteten regressiven Prozessen.6

Auch im Fall des Rechtsextremismus sollten wir also davon ausgehen, dass Sprache Wirklichkeiten schafft und Gemeinschaft stiftet. Die (virtuellen) Gegenwelten sind gekennzeichnet durch ein bipolares Deutungsschema, welches mittels der Reduktion von Komplexität Entlastung bietet. Diese Orientierungsfunktion des Rechtsextremismus erklärt seine Erfolge in Zeiten massiver Anomie und Krisenhaftigkeit. Aber schon Freud wies darauf hin, dass nicht erst eine als bedrohlich erlebte Realität, sondern schon der „Schrei“, „Thron und Altar sind in Gefahr“, ausreiche, um insbesondere an Herrschaft libidinös eng gebundene Subalterne (Autoritäre) in „Panik“ zu versetzen.7 Je stärker sich jemand mit Thron und Altar, also mit den alten gesellschaftlichen Autoritäten identifiziert, desto panischer und irrationaler reagiert er/sie auf tatsächliche oder angebliche Gefährdungen dieser Autoritäten. Deren Schwächung in sozialen Umbruchszeiten mobilisiert die autoritär-rebellischen Aggressionen gegen sie. Im Kampf gegen die alten und schwach gewordenen Autoritäten unter der Beibehaltung des autoritären Gesamtzusammenhangs hat die pseudo-revolutionäre Pose des Rechtsextremismus ihren Ursprung. Wie die politischen GegnerInnen werden auch die „Bonzen“ und „Bürokraten“ mit beschämendem Hohn überhäuft, wobei vom Aussehen bis zum Namen kein Anlass ausgelassen wird, um sich auf ihre Kosten lustig zu machen. Der zynische Herrenmenschenhumor richtet sich aber auch nach unten, gegen politisch und sozial Schwache und hier vor allem gegen Hilfsbedürftige. Erlaubt es das Medium des Witzes schon grundsätzlich, sich über Sprechverbote und das eigene Gewissen hinwegzusetzen, kommt im Zusammenhang mit Rassismus auch das Bedürfnis nach Selbstimmunisierung hinzu. Es ist dann ja nur „Spaß“, wenn etwa verlangt wird, dass Flüchtlingsboote im Mittelmeer versenkt werden. In dieser Diskursstrategie äußert sich auch die den Rechtsextremismus kennzeichnende Täter-Opfer-Umkehr: Wer seine Vernichtungswünsche offen äußert, werde von „politisch-korrekten Tugendwächtern“ verfolgt.

„Darum hat der Einstieg in den Rechtsextremismus so viel Befreiendes – er erlaubt es, diese Aggressionen ungestraft auszuleben.“

Der Rechtsextremismus ist durch spezifische Diskursstrategien und eine entsprechende, auf „assoziative Diffamierung und suggestive Überredung angelegte Diktion“8 gekennzeichnet. Rechtsextreme Diskurse weisen neben einem, Angst vergrößernden Alarmismus vor allem eine spezifische Gewaltaffinität und -Metaphorik auf. Damit wird an die individuellen Erfahrungen in strukturell gewalttätigen Verhältnissen angeknüpft, wobei die daraus entstehende Wut nicht zu Kritik an diesen Verhältnissen sublimiert, sondern direkt ausagiert werden soll („Rache mit Strache!“).

Grundsätzlich haben wir es bei der Sprache Rechtsextremer weniger mit einem logischen Zeichensystem, sondern vielmehr mit einer apodiktischen Affektsprache zu tun. Als solche zielt sie nicht auf den Verstand, sondern direkt auf das Unbewusste. Diese spezifische Hasssprache ist „von rationaler Bedeutung entleert, funktioniert […] magisch und fördert die archaischen Regressionen“.9 Dem Charakter dieser Sprache ist es geschuldet, dass rechtsextreme Diskurse inhaltlich so schwer kritisierbar sind. Denn sie beruhen „offenkundig nicht auf der Absicht, durch rationales Aufstellen rationaler Ziele Anhänger zu gewinnen, sondern auf psychologischer Berechnung“.10 Unter Bezugnahme auf Leo Löwenthals Diktum von der „umgekehrten Psychoanalyse“, welche der faschistische „Agitator“ betreibe, konkretisierte Helmut Dubiel: „Der rechtspopulistische Agitator nähert sich seinem Publikum mit der genau gegenteiligen Intention, mit der der Analytiker auf den Analysanden zugeht. Die neurotischen Ängste, die kognitiven Verunsicherungen und Regressionsneigungen werden aufgegriffen und mit dem Zweck systematisch verstärkt, den Patienten nicht mündig werden zu lassen.“11
Dieser Zielsetzung sind rechtsextreme Diskurse seit jeher verpflichtet, sie sind eben darum durchsetzt von Metaphern des Schmutzes, Ausmistens und Saubermachens. Diesen Diskursen ist daneben ein katastrophischer Tonfall eigen, überall lauert Gefahr, Dekadenz und drohender Untergang. Zum Ziel haben sie die Vergrößerung von Ängsten, was etwa im Fall der Angst, zum Opfer eines islamistischen Anschlages zu werden, auch gelungen ist: 33 Prozent der Befragten, aber 49 Prozent der FPÖ-AnhängerInnen artikulieren diese Angst.12 In Verbindung mit dem Pathos der letzten Chance und begünstigt durch Kriegs- und Gewaltmetaphern ist die permanente Warnung vor dem Untergang für die auch in Österreich festzustellende zunehmende Zahl an Hassverbrechen mitverantwortlich zu machen. Wer wie Heinz-Christian Strache im Zusammenhang mit einer behaupteten neuen „Türkenbelagerung“ vom notwendigen Anlegen des „Kampfanzuges“ spricht13, muss sich gefallen lassen, als Gewalt fördernder Hassprediger bezeichnet zu werden. Gleiches gilt für seinen Wiener Statthalter Johann Gudenus, der 2013 seinen Gewalt- und Säuberungsphantasien freien Lauf ließ: „Jetzt heißt es >Knüppel aus dem Sack!< für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegale Ausländer, kriminelle Islamisten und linke Schreier!“ Im Falle des erhofften FPÖ-Wahlsieges werde „aufgeräumt in unserem schönen Österreich“, so Gudenus weiter.14

Aussagen wie diese sind keine Ausrutscher, sondern gehorchen den inneren Notwendigkeiten extrem rechter Diskurse: Sie zielen direkt auf die autoritäre Disposition des Publikums, insbesondere auf dessen aggressiv-sadistische Anteile. Diese autoritäre Aggression hat die Eigenschaft, dass sie sich einerseits gegen sozial und politisch Schwache bzw. gegen Menschen richtet, die nicht den herrschenden Konventionen entsprechen. Andererseits wird sie von den (neuen) Autoritäten sanktioniert, ja noch gefördert. Darum hat der Einstieg in den Rechtsextremismus so viel Befreiendes – er erlaubt es, diese Aggressionen ungestraft auszuleben. Der Entstehungsort dieser Aggressionen ist neben der Familie der Alltag in kapitalistischen Verhältnissen, die soziales Unbehagen produzieren. Die Aggressionen, die aus dem Leben in diesen Verhältnissen herrühren und gegenwärtig gerne als „Wut“ bezeichnet werden, richten sich also nicht direkt gegen die Ursachen des Unbehagens, sondern heften sich unter Anleitung rechtsextremer Agitation an Ersatzobjekte: unten die Schwachen und Hilfsbedürftigen (Flüchtlinge, Obdachlose usw.), oben die vermeintlich Mächtigen („Bonzen“, „Bürokraten“, „Juden“ usw.). Bei dieser Verschiebung kommt dem rechtsextremen Agitator zentrale Bedeutung zu.
Während offene Gewaltphantasien in der Regel noch aus dem Schutz der Anonymität geäußert werden, finden sich die latenten Wünsche nach Ausmerzung bereits in der FPÖ-Agitation, in welcher etwa aus MigrantInnen Insekten gemacht werden. So hieß es im offiziösen FPÖ-Blatt über eine Rede des türkischen Regierungschefs Erdogan in Köln: „Unter dem Strich wurde bei der Ansprache an rund 20.000 Auslandstürken unweigerlich die Erinnerung an Tierdokumentationen wach, die von der Sandwespe handeln. Jenem liebenswürdigen Geschöpf, das seine Eier in fette Raupen legt, um diese von Larven von innen heraus, und – der Frische wegen – bei lebendigem Leib, zerfressen zu lassen.“15

„Bei den VerfolgerInnen und nicht bei ihren Opfern sind die Gründe für die Verfolgungen zu finden.“

Rechtsextreme Gegenwelten sind von einer Minderheit bevölkert, die es im Gegensatz zur verblendeten Mehrheit vermag, hinter die Kulissen zu schauen und die geheimen „Wahrheiten“ zu erkennen. So erhalten diese Gegenwelten Züge esoterisch-verschworener Gemeinschaft, deren Mitglieder sich als neue Elite sehen können. Dieser Machtzuwachs kann als Motiv für die Mitgliedschaft in solcher Gemeinschaft der „Wissenden“ gar nicht überschätzt werden. Vor allem verweist er auf die politische Ohnmacht als eine der wichtigen begünstigenden Variablen für die Übernahme rechtsextremer Einstellungsmuster.

Die vorrangige Eigenschaft erfolgreicher rechtsextremer Anrufungen besteht im Anbieten von Entlastung und Stabilisierung durch die Verwandlung von (verdrängten) Ängsten (z.B. vor Verarmung) in Hass (auf die Armen), der dann als zulässig sanktioniert wird. Nicht zuletzt dank begünstigender Medien- und Elitendiskurse wurde dabei Islamisierung zum wirkmächtigen Mythos, mit welchem sich die verschiedensten disparaten und bis zur viel zitierten „Wut“ gesteigerten Stimmungen transportieren und die massiven Erfahrungen von Entfremdung imaginär (an den muslimischen Fremden) bewältigen lassen. Diesem Mythos kommt heute zentrale Bedeutung in der ideologischen Vergesellschaftung, der notwendigen Selbstverknüpfung mit den herrschenden Strukturen zu: Er erlaubt es, die rebellischen Impulse mit den autoritären oder konformistischen zu versöhnen. Die Angst vor der behaupteten Islamisierung ist mittlerweile zum alltagskulturellen Code geworden für die Malaise, das vielfältige Leiden in den Verhältnissen, die jedoch grundsätzlich fortdauern sollen. Der „Agitator […] watet in dieser Malaise, er genießt sie und trachtet danach, sie zu vertiefen bis zu einem Punkt, wo sie sich zu einer paranoiden Beziehung zur Außenwelt verdichtet.“16 Die ursprünglich soziale Angst wird so „in eine ständige Erwartung des apokalyptischen Untergangs übersteigert.“17 Die Steigerung der Angst zur Paranoia gelingt schließlich, „wenn eine Gruppe […] von Statusverlust bedroht ist, ohne den Prozess zu verstehen, der ihrer Degradation zugrunde liegt. […] In aller Regel führt dies zur politischen Entfremdung, das heißt zur bewussten Ablehnung der Spielregeln eines politischen Systems.“18

Der menschenverachtende Sprachgebrauch der extremen Rechten weist ein System auf. In einem Anfang 2017 öffentlich gewordenem Strategiepapier der Alternative für Deutschland (AfD) heißt es unumwunden, man müsse „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein, zu klaren Worten greifen und auch vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurück schrecken“.19 Diese Strategie gehorcht einerseits dem Programm der Normalisierung von Rechtsextremismus: Solcherart kann die Sagbarkeitsgrenze sukzessive nach unten gedrückt und die sprachliche Normalität immer mehr verschoben werden. Durch permanente Wiederholung wird ein Effekt der Gewöhnung an die Gewalt produziert. Andererseits erlauben solche Provokationen, sich dann als Opfer von „Denkverboten“ oder „politisch-korrektem Tugendterror“ darzustellen. Solche Täter-Opfer-Umkehrungen erlauben es, die Aggression als Notwehr zu legitimieren. In manchen Fällen gehorcht sie aber weniger strategischem Kalkül, sondern vielmehr paranoider Aufrichtigkeit: Rechtsextreme fühlen sich mehrheitlich tatsächlich verfolgt oder als Opfer finsterer Machenschaften noch finsterer Hintergrundmächte.

Während der Diskurs der extremen Rechten von Kollektivsymbolen oder Mythologemen dominiert wird, könne nach Roland Barthes „eine eigentlich revolutionäre Sprache keine mythische Ausdrucksweise sein.“20 Dieser Anti-Mythos meint aber weder einen Rückfall hinter die Kritik der Aufklärung und des Rationalismus, noch den totalen Verzicht auf eine Politik mit Symbolen. Dabei wäre jedoch der Unterschied zur extremen Rechten in den eigenen Praxen zu berücksichtigen: Es müsste schon beim ersten Hinsehen deutlich werden, dass das verwendete Symbol nicht mehr ist als ein mit Bedeutung aufgeladenes Zeichen. Dies gelingt am ehesten durch Distanzierung, etwa in Form der Selbstironie und des Spielerischen, begleitet von blasphemischen Angriffen auf die Sozialgottheiten der Rechten. Aber erste Aufgabe radikaler Kritik bleibt, das soziale Bedürfnis nach dem Mythos durch gesellschaftliche Aufklärung zu minimieren – bis zur Überwindung der Verhältnisse, die durch permanente Versagungen dieses Bedürfnis (re-)produzieren.

Der rassistische und antisemitische Hass, der uns gegenwärtig auf allen Kanälen entgegenschwappt, ist umgewandelte soziale Angst, die jedoch verdrängt wurde. Darum wäre es eines der vorrangigen Ziele aller Bildungsanstrengungen gegen Rechtsextremismus, diese und andere Ängste aus der Verdrängung zu holen. Gleiches gilt für die unterdrückten Wünsche, allen voran die nach Faulheit und Versorgung, die unter den Bedingungen der Hegemonie des neoliberalen Leistungsdenkens ansonsten auf die „Sozialschmarotzer“ projiziert werden. Was Sartre über die AntisemitInnen sagte, gilt auch für die RassistInnen, die VerteidigerInnen der „kulturellen Identität“ vor muslimischer „Vermischung“: Nach Sartre ist „der Antisemit […] ein Mensch, der Angst hat. Nicht vor den Juden, vor sich selbst, vor seiner Willensfreiheit, seinen Instinkten, seiner Verantwortung, vor der Einsamkeit und vor jedweder Veränderung, vor der Welt und den Menschen, vor allem – außer vor dem Juden.“21 Die Angst vor den Juden und Moslems lässt sich demnach auch als diskursiv von extremen Rechten angeleiteter Versuch verstehen, existenzielle Furcht durch Konkretisierung zu bannen. Mit Aufklärung über die Objekte solcher „Ängste“ kommen wir darum nicht weiter. Stattdessen sollten wir auch in der Präventionsarbeit die „Wendung aufs Subjekt“22 versuchen – denn bei den VerfolgerInnen und nicht bei ihren Opfern sind die Gründe für die Verfolgungen zu finden.

Der Beitrag von Andreas Peham erschien kürzlich in: Humane Einwanderungspolitik – ist sie zu schaffen? Von der Ankunft über die Teilhabe zur Integration, hrsg. v. Dirk Hoerder, Wochenschau Verlag, Frankfurt a. M. 2019. Außerdem war sein Vortrag innerhalb unserer Reihe Zukunft des Widerstands 1: INTERSPEECHES am brut in Wien zu hören. Die nächsten INTERSPEECHES finden am 13. April 2019 unter dem Titel „Thinking about resistance (and how to build it)“ statt. Es reden und diskutieren Enis Maci und Andreas Spechtl.


  1. Neue Freie Zeitung, 8. 10. 2015 

  2. Schiedel, Heribert (2007): Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft. Wien, S. 28f 

  3. Lenk, Kurt (1971): Zur Sozialpsychologie der Mythenbildung. In: Ders.: Rechts, wo die Mitte ist. Studien zur Ideologie: Rechtsextremismus, Nationalsozialismus, Konservativismus. Baden-Baden 1994, S. 85-91, S. 85. Lenk spricht am Beispiel der „Nation“ oder des „Volkes“ auch von „Übersubjekten“ und „Sozialgottheiten“, denen normativer und imperativer Charakter zukomme. 

  4. Unter Symbol ist ein mit Sinn aufgeladenes Zeichen zu verstehen. Während der Bedeutungsgehalt des Zeichens relativ willkürlich und beliebig ist, transportieren Symbole stets einen bestimmten (oft auch überschießenden) Sinn. Diskursiv verdichtete Symbole bilden einen Mythos und können auch als vor allem unbewusst wirkende „Kollektivsymbole“ (Link, Jürgen (1988): Über Kollektivsymbolik im politischen Diskurs und ihren Anteil an totalitären Tendenzen. In: KultuRRevolution 17/18, S. 47-53) bezeichnet werden. Für die extreme Rechte sind Symbole nicht länger nur Zeichen, die auf etwas verweisen, sondern unmittelbar erfahrbare Wesenheiten. Nach ihrem essentialistischen Begriff vermag nur das Symbol (Mythologem) als repräsentierender Teil des „Ganzen“ die völkische Einheit oder Gemeinschaft stiften, während der vernunftgeleitete Gebrauch von Argumenten nur Zwietracht säe und konfliktvolle Gesellschaftlichkeit stifte. 

  5. Just, Rainer (2011): Die Unmöglichkeit einer Insel. Der Fall Breivik als Bibliotheksphänomen betrachtet. In: Ders.; Schor, Gabriel R. (Hg.): Vorboten der Barbarei. Zum Massaker von Utøya. Hamburg, S. 63-105, S. 75 

  6. In seiner Analyse von Massenphänomenen machte Freud die „Beobachtung der veränderten Reaktion des Einzelnen“ so bald er/sie Mitglied einer Masse wird. Die Massenbildung wirkt homogenisierend, ein vereinheitlichtes Massen-Ich tritt an die Stelle der unterschiedlichen Individuen. Dabei wird „der psychische Oberbau, der sich bei den Einzelnen so verschiedenartig entwickelt hat, […] abgetragen, entkräftet und das bei allen gleichartige unbewusste Fundament wird bloßgelegt (wirksam gemacht).“ Es ist die Last der Zivilisation, die beim Eintritt in die Masse abgeworfen wird, d.h. die Massenbildung wirkt befreiend: Das Individuum kommt „in der Masse unter Bedingungen, die ihm gestatten, die Verdrängungen seiner unbewussten Triebregungen abzuwerfen.“ Das Massen-Ich fällt also der Regression anheim. Ähnlich dem Zustand in der Hypnose oder im Traum „tritt in der Seelentätigkeit der Masse die Realitätsprüfung zurück gegen die Stärke der affektiv besetzten Wunschregungen.“ (Freud, Sigmund (1921): Massenpsychologie und Ich-Analyse. In: Ders.: Gesammelte Werke (GW) XIII. Frankfurt a. M. 1999, S. 71-161, S. 77ff) 

  7. Freud, Sigmund (1927): Fetischismus. In: Ders.: GW XIV, S. 311-317, S. 312 

  8. Holzer, Willibald (1993): Rechtsextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien, S. 11-96, S. 65 

  9. Adorno, Theodor W. (1970): Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda. In: Z Psychoanal 24(07), S. 486-509, S. 502 

  10. Ebd.: 486 

  11. Dubiel, Helmut (1986): Das Gespenst des Populismus. In: Ders.: Populismus und Aufklärung. Frankfurt a. M., S. 33-50, S. 42 

  12. Kurier, 24. 10. 2014 

  13. Kurier, 8. 5. 2006 

  14. profil, 30. 9. 2013 

  15. Neue Freie Zeitung, 30. 4. 2010 

  16. Löwenthal, Leo (1990): Falsche Propheten. Studien zum Autoritarismus. Schriften Bd. 3. Frankfurt a. M., S. 32 

  17. Ebd.: 35 

  18. Neumann, Franz L. (1978): Angst und Politik. In: Ders.: Wirtschaft, Staat, Demokratie. Aufsätze 1930-1954. Frankfurt a. M. , S. 424-459, S. 452 

  19. http://www.rhein-zeitung.de/cms_media/module_ob/7/3819_1_AfD-Manifest.pdf  

  20. Barthes, Roland (1964): Die Mythen des Alltages. Frankfurt a. M., S. 135 

  21. Sartre, Jean-Paul (1946): Betrachtungen zur Judenfrage. Psychoanalyse des Antisemitismus. In: Ders.: Drei Essays. Frankfurt a. M. 1975, S. 108-190, S. 134 

  22. Adorno, Theodor W. (1966): Erziehung nach Auschwitz. In: Ders.: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Helmut Becker 1959-1969. Frankfurt a. M. 1971, S. 88-104, S. 90 


Andreas Peham — geboren 1967 in Linz, studierte Politikwissenschaft, arbeitet seit 1996 im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Abteilung Rechtsextremismusforschung, und ist Gründungsmitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).