28. Februar 2018 — Demokratisierung

Zweieinhalb Seiten dünn ist das Frauenprogramm der Regierung, wobei eine halbe Seite auf die Einleitung entfällt. Zahnlos ist es ausgefallen. Schon im Eingangsstatement wird die Verschiedenheit von Mann und Frau in Würde aufgewogen – quasi als vorauseilendes Trostwort für das darauf Folgende: alles, nur keine Frauenpolitik. Denn alles, was frauenpolitisch schon seit Jahrzehnten unter den Nägeln brennt, wird zwar geprüft, optimiert, gebündelt, evaluiert, ja, soll da und dort sogar forciert werden. Doch statt echter Werkzeuge wie Quoten, Sanktionen oder steuerlichen Maßnahmen, mit denen Ungerechtigkeiten tatsächlich ausgehebelt werden könnten, wird weichgespültes Wunschdenken serviert. Frauen werden fast ausschließlich als Mütter gedacht. Mit den Verschärfungen bei den Sozialleistungen haben die Parteikollegen aus den anderen Verhandlungsgruppen schon einmal die Basis für weitere Armutsgefährdung von alten, nicht vermögenden und/oder alleinerziehenden Frauen gelegt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist laut Frauengruppe nach wie vor Frauensache; und Rahmenbedingungen, die Väter durch Förderungen, Bevorzugungen oder andere Köder mit ins Boot holen sind unvorstellbar. Von flexibleren Öffnungszeiten von Kindergärten, Ferienbetreuung, Nachmittagsbetreuung ist z.B. die Rede; den Maßnahmen wird Wahlfreiheit vorangestellt. Haben die Frauen die Wahl, darauf zu verzichten? Und fällt dieser Punkt nicht de facto in die Kompetenz der Länder bzw. Gemeinden? „Diskriminierungen in allen Kollektivverträgen prüfen und beseitigen“, steht da auch. Prüfen, denke ich, ja: Wunderbar. Aber womit denn beseitigen? So geht es zwei Seiten lang dahin. Von Druckmitteln und Quoten lese ich weit und breit nichts.

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Gertraud Klemm

Dafür einen Hinweis auf eine zwingende Beratung bei Schwangerschaftsabbruch – und jede Menge Hinweise, dass auf die Gesundheit von Schwangeren besonderes Augenmerk gelegt wird. Der Volkskörper braucht seinen Uterus, und diese Regierung hat das Programm auf den Uterus zugeschnitten. Fünf Frauen von ÖVP und FPÖ haben in der Fachgruppe „Frauen“ verhandelt. Hat keine von denen ein frauenpolitisches Verständnis, das weiter reicht als die Nabelschnur von der Mutter zum Kind – oder von der Parteisoldatin zu ihrer Partei? Ich sehe mir ihre Biografien an. Manche haben Kinder, manche haben studiert, eine ist sehr jung, eine beißt sich schon seit Ewigkeiten die Zähne an der flachsigen Frauenpolitik aus, mit der die ÖVP ihre Frauen abspeist. Ich weiß natürlich, dass es naiv ist, in der Politik empathische Menschen zu erwarten. Ich weiß natürlich, dass wir auf türkiser Seite von Systemgewinnlern regiert werden, die nicht das Interesse haben, sich in sozial Benachteiligte hineinzufühlen. Und die ihre Frauen geschickt positionieren. Das ist ein alter Hut. Neu ist, dass wir jetzt auch noch zusätzlich von Systemgewinnlern regiert werden, die sich in Burschenschaften zusammenrotten, Nazilieder grölen und einander Posten zuschachern.

Wer sind diese ÖVP-Frauen, die sich von ihrer Partei auf den Fahrersitz hieven lassen, wo sie scheinbar publikumswirksam aufs Gas treten dürfen – während die Männer in der zweiten Reihe kräftig auf die Bremse steigen? Wer sind diese Frontfrauen der FPÖ, die uns einen Haus- und Herd-„Feminismus“ als Wahlfreiheit verkaufen, in dem wir frei wählen, wie wir dem dumpfen Machismo zu Dienst sein können: gehorchend, gebärend, gewährend, kinderbetreuend, als schöner Anblick – oder eben strickend, sollte „man“ länger leben als „man“ nützlich ist?

„Wenn man länger lebt als man nützlich ist und vor lauter Feminismus nie stricken gelernt hat. Meine Oma schämt sich für euch.“

— Edwin Hintersteiner von der Identitären Bewegung / RFJ // Tweet vom 26.01.2018

Sind das Egoistinnen, frage ich mich? Weil sie lieber an die Organisation der Au-Pair-Mädchen denken als an den Rotz, mit dem Alleinerzieherinnen täglich zu raufen haben? Sind diese Frauen wirklich so privilegiert aufgewachsen, dass sie sich nicht vorstellen können, in eine Notlage zu geraten? Denken sie tatsächlich, dass jegliche Notlage selbst verschuldet ist, mit oder ohne Kind? Kennen sie keine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch hatte und dankbar ist für die Fristenlösung? Ist es ihnen egal, dass sie für kommende Frauengenerationen die Altersarmut mitbeschlossen haben? Sind sie so tief in ihre heteronormative, christlich-konservative Ideologie einzementiert, dass sie Frauenbiografien ausschließlich in gutverdienenden, verheirateten Uteri denken? Kann es sein, dass ihnen nicht bewusst ist, dass ihre maßgeschneiderten Lösungen nichts als Haute Couture sind, die es nur für eine Frauenpolitik de Luxe braucht? Oder hat irgendein schwarzblauer Männerzirkel bei ein paar Bier dieses Parteiprogramm hingeschludert?
Haben sie nicht das 1x1 der Frauenpolitik gelernt, wissen sie nicht, dass Johanna Dohnals Forderungen – damals als zu radikal verschrien – heute die Grundvoraussetzung für all die Power sind, die selbsternannte Powerfrauen gern vor sich hertragen? Dass keine einzige frauenpolitische Lösung neoliberal „passiert“ ist, dass jede einzelne Forderung mit Zähnen und Klauen erstritten werden musste? Ist ihnen bewusst, dass das Kabel, von dem sie ihre Selbstbestimmtheit abzapfen, verdammt lang in die Vergangenheit reicht und dass ihren Töchtern und Enkeltöchtern ohne frauensolidarischen Nachschub bald die Power ausgehen wird? Wie sahen diese Seelen der Frauen aus, bevor sie sich an die neoliberale Rechtsaußenpolitik verkauft haben?

Und mitten in die ersten faschistischen Ausfälligkeiten der FPÖ als Regierungspartei platzt eine feministische Sensation: Eine schwangere Ministerin, und das in einer rechtskonservativen Regierung! Da kann man frauenpolitisch doch nicht so viel falsch gemacht haben, oder? Eine schwangere Ministerin ist ein Zeichen dafür, dass alles möglich ist, dass wir im 21. Jahrhundert angekommen sind, dass die Ungleichbehandlung vorbei ist! Juhu, lasst uns den Champagner köpfen und den Feminismus endgültig für erledigt erklären!

In den Medien kann man nachlesen, wie das Volk über eine schwangere Ministerin urteit. Das haben wir jetzt davon! Schwangere Weiber im Ministerium! Alles Berechnung! Kann die nicht verhüten? Das arme Baby! Und kann sich die dann auf die Arbeit konzentrieren?

Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der man sich in Saudi-Arabien um die Eierstöcke der autofahrenden Frauen sorgt, wird eine schwangere Ministerin als Ausgeburt von Genderwahn und Gleichmacherei gegeißelt. Ausgerechnet aus den konservativsten Reihen muss da so ein feministisch statuiertes Exempel herauswachsen! Denn: Eine schwangere Ministerin könnte natürlich eine frauenpolitische Lichtgestalt sein, ein Rolemodel, das längst schon Realität sein müsste. Ist sie aber nicht. Wochengeld, Mutterschutzzeiten und Karenzgeld sind dienstrechtlich für Ministerin und Nationalrätin schon mal nicht vorgesehen. Ein Problem, das viele selbstständige Frauen meistern müssen. Aber wenn das Einkommen passt, findet sich immer ein Weg. Und wenn der Partner mitspielt, findet sich gleich noch ein Weg. Wie schön könnte man da öffentlichkeitswirksam durch den scheinbaren Unvereinbarkeitsdschungel von Regieren und Gebären navigieren! Wie schön wäre es, würde der Ministerinnengatte in seiner Vaterrolle so tadellos funktionieren wie alle Ministergattinnen in ihrer Mutterrolle, weil er entgegen der Parteilinie nicht nur als imaginäre Zahl in die Gleichung der Kinderbetreuung eingerechnet wird. So wie Generationen von kindergesegneten Spitzenpolitikern und Ministern übrigens trotz tausender in deren Amtszeit geborenen Kinder funktioniert haben, könnte es auch eine Ministerin. Es könnte vorgelebt werden, dass Kinder zwar im Uterus heranwachsen und größtenteils vaginal geboren werden, ein Vater aber nichtsdestotrotz eine vollwertige Bezugsperson sein kann.

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Gertraud Klemm

Wo ist also das Problem? In einem Interview sagte die Ministerin, zu ihrer Schwangerschaft befragt, dass „man im 21. Jahrhundert keine Entweder-oder-Frage mehr beantworten braucht, das muss ein Mann auch nicht tun“, und dass ihre Schwangerschaft Privatsache sei. Sie stünde vor den gleichen Herausforderungen wie unzählige andere Frauen und Familien. Da hat die Ministerin aber einige feministische Grundrechnungsarten geschwänzt. Erstens wird Männern die Entweder-oder-Frage gar nie gestellt; und zweitens ist die Entweder-oder-Frage ideologisch nach wie vor ein Fixpunkt in so gut wie jeder Frauenbiografie, das braucht „man“ gerade als weibliche, schwangere Spitzenpolitikerin nicht schönzureden. Zweitens ist eine Schwangerschaft eben keine Privatsache, sondern eine geschlechterpolitische Weichenstellung. Denn das Private ist politisch, und das Politische privat. Eine Schwangerschaft markiert den Einbruch bei der Gehaltskurve, legt den Grundstein für Altersarmut; sie kann der tiefe Graben sein, in den persönliche und berufliche Wünsche und Bedürfnisse hineinfallen, noch bevor sie überhaupt geträumt wurden. Wenn eine Schwangerschaft Privatsache ist, dann ist es auch die Tatsache, dass Männer nach wie vor viel weniger Fürsorgearbeit machen. Dann ist Ungleichbezahlung Privatsache, sexuelle Gewalt und gegebenenfalls auch die Altersarmut. In der „Selber-schuld“-Politik beruht ja alles auf Freiwilligkeit und Wahlfreiheit.

Es gibt keine Frauenpolitik der kurzen Wege.

Das Wissen über das Politische im Privaten sollte aber jede Frau, die an den Machthebeln sitzt, im Schlaf abrufbar haben. Diese Zusammenhänge muss eine nachsichtige Gesellschaftspolitik erkennen. Es gibt keine Frauenpolitik der kurzen Wege.

Die Politikerinnen im Gefolge von Sebastian Kurz, die seelenruhig auf den starken Schultern ihrer feministischen Vorkämpferinnen stehend einen neoliberalen Schönwetterfeminismus für Vielverdienende konzipieren und unterstützen, sind ein Problem: ein arme-Frauen Problem. Dieses Problem ist ein gewähltes, 52 % der Frauen haben sich demokratisch für eine Politik entschieden, die uns eine feministische Errungenschaft nach der anderen – unterstützt von Politikerinnen – unter dem Hintern wegrationalisieren kann.
Es gibt nur eines, was noch deprimierender ist als Frauen, die keine Frauenpolitik machen: die Tatsache, dass so eine Politik mehrheitlich von Frauen gewählt wurde.


Gertraud Klemm — geboren 1971 in Wien, aufgewachsen in Baden bei Wien. Biologiestudium, bis 2005 Arbeit als hygienische Gutachterin bei der Stadt Wien, seit 2006 Autorin. Sie schreibt Romane, Essays und Lyrik. Für ein Kapitel aus ihrem Roman Aberland (2015, Droschl) erhielt sie den Publikumspreis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt (2014), der Roman stand 2015 auf der Longlist des deutschen Buchpreises. Im selben Jahr war sie mit ihrem Debüt Herzmilch (2014), für den European Union Prize for Literature nominiert (Shortlist). Aktuell erschienen: der Roman Erbsenzählen (2017, Droschl). Sie lebt mit ihrer Familie in Pfaffstätten, NÖ.