06. Juni 2018 — Rechtsterror

der text ist als gemeinschaftsarbeit der autorinnen für eine lesung in der lettrétage berlin im rahmen der warm-up veranstaltung "ängst vor bürger" für die konferenz "ängst is now a weltanschauung" entstanden. für den text wurden auszüge aus katharina schultens' "gorgos portfolio", kookbooks 2014, und "untoter schwan", kookbooks 2017, zur überarbeitung und collagierung entnommen.





Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen. (Recep Tayyip Erdoğan)
*
die staubflocken fallen vom himmel
und legen sich weiß
und legen sich glatt
wie das haar alter götter
die augen verklebt
die finger klamm
die zungen frieren an laternenmasten
weil sie den neuen staub schmecken wollen
und die landnahme wütet in unserem herzen
das haben wir gemeinsam
aber so gut wie heute ging's uns selten
oder vielleicht noch nie
unsere bäuche unsere städte
so voll waren sie selten
und unser gemeinsamer himmel
so hell wie nie

und der terror ist ein fettes kleines tier
es löst sich aus der monstertaille und klettert
um noch verbliebene barrieren zu durchbrechen
vermisst dabei bloß bärenzähne, bullenhorn 

das monster findet uns immer ganz unten
durchwühlt uns tags das herz nach häppchen
erkennt darunter ängste hübsch paketweise sortiert
doch nie in unverarbeitetem zustand

der pelz des monsters ist verkrustet
es weiß es muss sich putzen
damit es in die kehle kann

das monster hat vergessen was sein ursprung ist
metamorphosen nennt es ein gerücht
es hat vergessen was die box enthält
pandora ist ihm kein begriff

es hat nun eine käfereigenschaft kopiert
es wird sich alsbald schon in stagnation verpuppen
wenn seine bubble platzt schwirrt draus
millionenfach vermehrt zum schwarm: hypo-
crisis

und es bräuchte schlüsselwörter für eine reaktion
wenn ich jetzt schriebe: ich habe nägel und gas. oder: hijab. 
und dann chemische elemente aufzählte die immer schon gefährlich waren

wenn ich diese nachricht nicht öffnete. wenn wir nur 
über entwürfe kommunizierten. wenn wir nicht mehr mobil
telefonierten und stattdessen vor wechselnden telefonzellen
meisterschaft entwickelten im münzeinwurf an einander

deine worte können nicht ausgesprochen werden
denn es ist schon alles gesagt worden
eure worte
worte wie viren
eure zungen wie kneifzangen
der-die-das-viren
entweder-oder-zangen

und wozu reden!
es ist alles schon gesagt worden

wenn ich mich an das hielte was ich mir vorgenommen hatte
wenn es nur darum ginge politisch zu sein. wenn es nur darum ginge
politik wie bisher zu ignorieren. wenn ich dich verstünde. wenn ich nur
wüsste was du meinst wenn du mir sagst dass du meinst was du sagtest

wenn ich einen schlüssel hätte der öffentlich wäre und trotzdem geheim
nichts davon funktioniert. auch das hier schließlich nicht

es gibt nichts mehr, was ihr noch sagen könntet
alles gleicht sich aneinander und muss beim namen genannt werden
staub und asche
eure sprache
wozu erklären!
es gibt nichts mehr, was erklärt werden kann

Wozu sich erklären? […] Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht. (Götz Kubischek)

ich dachte, wir hätten es getötet, es ist überall

findet ihr es nicht bemerkenswert, nach jahren phantastischer uniformen 
sternenbesetzt: in immer denselben rebellischen kombinationen 
von olivgrün und gold, silber, blau, violett 

nach jahren in bärten, baretten, krawatten, fremden talaren, jetzt: 
ist es das haar, ist es das haar, hats sehnsucht: nach akkuratesten scheiteln 
pomade, coiffage in orange, sommersprossen –

und du sagst dir

ich sag: katastrophenberichte häufen sich, ich fühl sie nicht.

zwischen den jahren werden es mehr, sagt das monster. nein
vielleicht hören wir nur besser zu, sage ich.

ihre welt gerät in not
leute legen sich auf den boden
wie embryos und lachen sich rot
manche machen pingpong auf den straßen
mit schlägern und manchmal auch ohne

es zitiert statistiken, ich spreche von statisten.
es wirft mir grausamkeit vor, ich sage nein:
alles gilt gleich viel und gleich wenig.


Aber wir alle wissen natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt. 
(Bernd Höcke)

aber du denkst dir

für so eine gemeinschaft bin ich doch belastbar genug
für so eine reifheit pünktlich genug
für so eine ganzheit angeregt genug
und für so eine einstimmigkeit
fröhlich doch
genug

das ist eine schlimmere sünde. keinen unterschied machen.
ein käfer/ein kind gilt radikalen nichts. ein feuer/eine verworfene
idee: beide können tödlich/harmlos sein, was solls.

und du denkst dir

ich werde anfangs dinge für sie bewerkstelligen
werde sie anfangs für sie empfangen
werde sie für sie bewegen
für sie reinigen
und ordnen

ich bin ja ziemlich gut in empfang
richtig gut in bewegung
sehr gut in reinigung
und sowieso
in ordnung

das monster ruft ein lied auf, eins, wozu es tanzen kann. ja genau, sage ich.
wir werden das am ende tun. alle die mit flanke drehn sich am ende
um, sind ihr eigener tanzboden. drunter: getier. drauf: musik.

dann ein hymnus,
und ein held knietief im humus,
er hat sich die basecap so tief ins gesicht gezogen, dass man ihn nicht erkennt, 
aber dass er ein tyrann ist, ist so gut wie sicher.

er schickt sich an

zur multiplikation, springt, wackelt vor und zurück, auf dem krönungspodium 
seines parteitags, sticht unterm studiotisch seiner moderatorin geschickt 
in den unterleib, zieht sein blutiges stilett direttamente aus dem eigenen rücken

ja wenn seine nägel wachsen schrumpfen seine hände mitten in der nächsten geste 
hat tonnen voll gas in mehreren wüsten, einen plan zur schuldlosen aufkündigung 
aller völkerverträge, ist es nicht komisch, ist es nicht komisch, klingt es hysterisch, 
es ist mitten unter uns, ist ein lied, ein rhythmus, hört ihr: schon geschehen

also sprich du

sprich also
also sprich
und gehe vorbei
an leeren spielplätzen
an industrieruinen und stillgelegten flughäfen
an toter technik und weißbedeckten schlachthöfen
ja
sag es
der schrott von heute ist die archäologie von morgen
und gehe weiter

weiter
schau auf zum himmel
die sonne wird von einem drachen eingerollt
die asteroiden stellen die erde unter naturschutz
die trümmergärtner bewässern ihre staubbedeckten blumen
ihre töchter tanzen mit welken armen
und ihre mütter schälen die letzten apfelsinen
mit zitternden händen

und
währenddessen
rufen magisch-depressive hippies ficken-statt-fresse
simulieren die revolutionären aussteiger das heile landleben
betreiben die konservativen alternative ahnenforschung
mobilisieren sich die rechten gegen das-herrschende-feminat
bewerfen die patrioten asylunterkünfte mit den steinen ihres vaterlandes
und rufen DER WEIßE VERRAT

und du denkst dir


ich werde dinge für die gemeinschaft in stellung bringen

die gemeinschaft wird meine stellungen in ordnung bringen
ich werde der ordnung der gemeinschaft gegenüber vertrauen bringen
das vertrauen auf die gemeinschaft wird mich an den ort meiner bestimmung bringen

denn
ich kann allen arten von teamarbeit gerecht werden
ich kann allen arten von überstunden gerecht werden
in dieser gemeinschaftsunion herrscht ja gerechtigkeit aller art
und all diese gerechtigkeit wird mir dann frontal widerfahren

ich kann ja klein anfangen
ich habe ja mal klein angefangen
bis ich es dann hierher geschafft habe
ich kann also wieder klein anfangen
sehr klein anfangen

ich kann ja motiviert bleiben
zuverlässig bleiben
und auf der spur

dann vertrauen sie mir
dann bin ich keine fremde mehr

und sie lassen mich dann sein

sie lassen mich arbeiten
mich in meine interessen hineinarbeiten
mich in ihre interessengemeinschaft hineinbewegen

und du denkst dir: die lüge distanz

denn ich entkomme jenen kommandeuren so wenig, wie ich dem tod entkomme 
aber alles lässt sich eine weile auf abstand halten: pelztiere, liebe, ein hieb 
mit dem beil vielleicht nicht, kommt drauf an, wers führt.

ich hatte vergessen, wie sehr alles improvisation ist. wie schnell 
eine sprachnachricht unwiderruflich wird, banale enden 
woraus bastelt man tragik? welche elemente fallen

folgerichtig aus der geschichte, damit sie stimmt? 
ich weiß, jetzt fehlt ein detail, ein farbiges kleid 
vielleicht, ein geruch nach konkretion

pflaumen zb, scheiße auch, idiotie. 
etwas knallt und kürzt meine zeilen ein. 
schuss, metapher, rußende rachegedanken

an der methode. ich vergesse wie das kind riecht 
und renne, renne jeden abend denn das kind könnte 
tagsüber meinem leben abhanden gekommen sein. 

was weiß denn ich. ich habe meine hände vererbt, dringend 
müssten jetzt meine augen folgen, ich münze sie in kastanien um 
es wird eine allee wachsen in einem fernen herbst wirft sie

meine blicke in ihre mitte –

während ihr gott: schläft
die urheberrechte der vertreibungsmärchen: schlafen
und der hund des zweifels: schläft
die villen der suburbia: schlafen
und das tourette-lachen: schläft
die luxus-geschäfte: schlafen
das blackout: schläft
und die eingestürzten brücken: schlafen

während das nostalgiesyndrom: schläft
und die paranoia: schläft
die bullen- und bärenmärkte: schlafen
und der maschinensturm ihrer sprache: schläft
die infanteristen der zukunft: schlafen
der asphalt: schläft
und die rastplätze: schlafen

während euer „aus freiheit mach freihandel“: schläft
euer „arbeit macht daseinsfähig“: schläft
kant, aufklärung und die schengen-religion: schlafen
goethe, schiller und der stolz der nation: schlafen
diesel-doldgruben und flugzeuge mit aufklärungsfunktion: schlafen
das bevölkerungs-hurra-hurrara im urkontinent pangäa: schläft
und jetzt bitte einen drink auf die vereinigten staaten von bla-bla: schläft

ruft die generation-kaputt-plus
mit einer enttäuschten sehnsucht
der generation-erdrutsch zu:
uns will die zukunft aus der hand fallen

dann werden wir eben zu selbsternannten selbstgefälligen totalitären überheblichen unterbelichteten verwichsten hohlen kranken unlustigen mittelmäßigen niveaulosen perversen respektlosen drittklassigen gleichgeschalteten genderwahn- gesinnungs- hurra- islamisierungs- verschwörungs- korrektheits- moral- multikulti- öko- propaganda- hippie- tugend- EXILANTINNEN unserer selbst

They are not sending their best. They are not sending you. They are not sending you. … with us.
(Donald J. Trump)

sieh her:

wir haften an, fahren immer diesen kreis entlang
i have the best people und mein wäldchen
ist ein spiegelkabinett, seine mechanik quietscht 
wenn er übers steuerpult bloß neue bilder hochzieht
those rapists, they are not sending you
 
wir hören, wenn wir sprechen
wir hören ich in einer tour
on both sides of the aisle
diesem einzigen techniker
ach diesem säuselmullah zu
 
there were some very fine people on both sides
und alle hielten gleich gültige plakate: hoch
machen wir also mongolischen honig, bleiben unsortiert
suchen wir den einen baum, der summt, auf dass
auf dass wir dort alle unverschleiert ineinander fallen
auf dass wir allen waben ihren faden ziehen, sag
wie fängt man einen schwarm? the good, the bad, and then some


Wir müssen ganz friedlich und überlegt vorgehen, uns ggf. anpassen und dem Gegner Honig ums Maul schmieren, aber wenn wir endlich so weit sind, dann stellen wir sie alle an die Wand. (Holger Arppe)

ich werde die dinge für die gemeinschaft in stellung bringen

es gibt kein programm für einen abtritt des monsters. es wird 
mich finden, dich finden, unsere kinder bemalen. weiß und rot 
rot und weiß ist alles, was ich dann noch liebe, platzt. 

ich werde dinge für die gemeinschaft in stellung bringen

wir werden waffen führen hinterm vorhang, zuckerrote peitschen
aus dem paradies, großartig tropfendes obst, zuckende eingeweide 
wir werden drin untergehen vor liebe wie die schweine.

denn die welt wird wieder eine decke sein, gescheckt und warm 
jeder wird seinen fleck haben und einen schwanz, ein kleines r 
mit einem knick nach rechts für simplere befruchtung.

ich werde dinge für die gemeinschaft in stellung bringen

kinder produzieren wir endlich, unzählige blendende kinder 
in erneuter hackordnung nach ihren haarfarben sortiert 
also mach mir ein neues, mein jetziges ist am kopf zu dunkel.

ich werde dinge für die gemeinschaft in stellung bringen

sieh ein, wir können nur gewinnen, wenn wir dem monster vorauseilen
zur kasse, zum stall, in den einzig verbliebenen backstagebereich 
dort wartet, perücken in beiden händen, der letzte gute tod.


Maren Kames, Katharina Schultens, Mehdi Moradpour


Maren Kames | DEU Autorin | 1984 in Überlingen am Bodensee, lebt in Berlin. Studium der Kulturwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaften in Tübingen und Leipzig, Studium Kreatives Schreiben am Literaturinstitut Hildesheim. Schreibt querbeet ohne Rücksicht auf Genres. 2017 Anna Seghers Preis (u.a.) für ihr multimediales Debüt „Halb Taube Halb Pfau“ (Secession, 2016).



Katharina Schultens | DEU Autorin | 1980 in Kirchen (Deutschland), lebt in Berlin. Studium Kulturwissenschaften in Hildesheim, St. Louis und Bologna. Arbeitet an der Humboldt-Universität als Geschäftsführerin einer naturwissenschaftlichen Graduiertenschule. Schreibt Lyrik und Essays. Zuletzt 2015 Internationaler Spycher: Literaturpreis Leuk der Schweizer Stiftung Schloss Leuk.



Mehdi Moradpour | DEU Autor, Übersetzer, Dolmetscher (Farsi, Spanisch) | 1979 in Teheran | Studium Physik, Industrietechnik (Iran); Soziologie, Hispanistik, Amerikanistik, Arabistik (Leipzig und Havanna); FORUM TEXT (Graz) | Arbeiten an der Deutschen Oper Berlin, Maxim Gorki Theater, Münchner Kammerspiele, Schauspielhaus Wien.