erste bestandsaufnahme der alternativen faktenlage

Ein Gastbeitrag von Ferdinand Schmalz
25. Januar 2017 — Land/Stadt

heinrich heine sagte: wenn ich von „white trash“ spreche, nehme ich davon aus: erstens alle, die nicht auf facebook sind, und zweitens alle, die auf facebook sind.

scheinartenbildungen, bizarre scheinartenbildungen, die sich schleichend einmauern wollen.

ein handy-hüllen-händler, der sagt: „europa muss überrollt werden.“

das leere erstauffanglager bei spielberg nachdem sich die route geändert hat. darin ein irrgarten aus personenleitsystemen. ein hund, der irgendwo vor den zelten bellt. der blick auf den nachtklub namens „hell“ beim verlassen des grenzübergangs. „welcome to hell.“

martin sellners dummes grinsen. während er von „antiker ehrlichkeit“ (carl schmitt) spricht.

hofers dummes grinsen.

straches dummes grinsen.

trumps saudummes grinsen.

dieser kontinent, der alle anderen kontinente überrannt hat. ihnen seine zeit, seine sprache, sein geld, seine kultur aufgedrängt hat, und jetzt selber angst kriegt vor der globalisierung.

ein bauernhof nahe der grenze. die fenster verbarrikadiert. im innneren der bauer, umringt von seinem waffenarsenal. bereit für den bürgerkrieg.

ein schriftsteller, der sich einmauern lässt, w-lan sicher einmauern lässt.

der ausführende maurer, der sich, während er die mauer zwischen dem schriftsteller und der außenwelt aufbaut, während er die letzte tür nach draußen zumauert, sich maßlos darüber aufregt, dass gerade nationale grenzen aufgebaut werden, anstatt dass man beginnt die innernationalen grenzen abzubauen. dass das doch das eigentliche problem sei. dass es natürlich alle schaffen könnten, wie man so schön sagt, dass es alle theoretisch schaffen könnten, was auch immer das heißen soll, dass aber jemand aus der peripherie, wie er, sich genau einen fehler leisten darf, genau einmal stolpern darf, dann ist es das gewesen mit den großen träumen. während andere einen fehler nach dem anderen, immer wieder können die einen scheiß bauen und zum dank kriegen die noch einen ministerposten nachgeworfen.

die mauer, die halb fertig stehen bleibt, weil es dem maurer reicht. dahinter er, der dichter mit seinen konservendosen.

ein theater, das nur mehr einen letzten treuen abonnenten hat. das ensemble beklatscht nach premieren ihn anstatt umgekehrt.

eine mariachi band die trumps reden covert.

eine sehr alte, sehr dünne schicht firnis, die gerade irgendwo zu bröckeln beginnt.

ein kanzler kündigt einen relaunch an.

wir wissen erst was bröckeln ist, wenn wir selber bröckeln.

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white trash — hydronymous

ein tierpfleger, der seinen schildkröten schon zum dritten mal diese woche erklären muss, dass demokratie nicht gekonnt werden kann. dass man in einer demokratie immer wieder an den punkt kommen muss, an dem einem das unvermögen des demokratischen systems bewusst wird, an dem man nicht anders kann als die demokratie neu zu erfinden. dass die demokratie darum immer wieder aufs neue erfunden werden muss. dass sie, die schildkröten, sagt er, der tierpfleger, sich das doch bitte mal merken könnten.

das verständnisvolle nicken der schildkröten.

die vorahnung des tierpflegers, dass es nicht das letzte mal sein wird, dass er ihnen das alles erklären muss.

ein improvisiertes krippenspiel der stammgäste des café bauchstich.

ein neonazi, der vor einem brennenden flüchtlingsheim onaniert.

angeblich nicht heideggers letzte worte: „kein grund zur sorge.“

angeblich heideggers letzte worte: „was ist eigentlich … die beste pizza der stadt.“

truppenübungen im kleinhirn eines jungen philosophiestudenten mit starrem blick und strenger frisur, der von rassenvermischung und der identität eines volkes faselt, der von körperlicher ertüchtigung mit gleichgesinnten träumt, von deutschen turnvereinen und volkshygiene.

eine gesellschaft, die gerade auf diesen studenten gewartet hat, weil noch ein platz in einer talkshowrunde frei ist.

die schleichende verclubbung europas.

eine erfolgreiche jungunternehmerin, die ein start-up für aufwendige geruchsperformances gegründet hat, die ihrem freund am telefon erklärt, dass nation sich von dem lateinischen wort für geburt ableitet, dass die nation die gemeinschaft der an einem ort geborenen sei, die ihm erklärt, dass wir dem gebürtigkeitskonzept der nationalisten etwas entgegen setzen müssen. dass wenn die nationalisten die geburt besetzt haben, dass wir dann den tod besetzen müssten, dass wir uns den tod nicht nehmen lassen dürfen, dass der tod etwas ist, das grenzüberschreitend ist. dass wenn man sich dem tod aussetzt, man auch diese grenze überschreiten muss, dass sie das jetzt erst verstanden habe, dass sie das erst hier in den weiten der namibwüste verstanden habe. dass sie sich hier das leben nehmen werde, um diesem neuen denken ein zeichen zu setzen.

ihr freund am anderen ende der leitung, in bozen, der ihr versucht zu erklären, dass das ja jetzt also doch irgendwie schon die terroristen übernommen hätten. dass der internationale terrorismus doch diese thanatotransnationalen strömungen vertreten würden. und sie doch nicht für irgendeine idee sterben müsse. dass er sie verzweifelt bitte zu ihm zurück zu kommen.

ein schuss und ein leerzeichen.

ein afrikanischer sarg in form einer nase.

ein wunsch nach ordnung, der alles ins chaos stürzt.

slavoj zizek der sagt: „make zizek great again.“

ein kleiner flecken haut, der nie auch nur einen solariumstrahl abbekam, als bühne für das weltweit führende filzlaustheater.

der halb eingemauerte dichter, der merkt, dass er einen dosenvorrat für mehrere jahre hat, aber keinen dosenöffner.

eine hundebesitzerin, die mit einem segway ihren hund spazieren fährt und sich denkt, auch unsere möglichkeiten sind beschränkt.


entkommene, die nicht willkommen sind.

eine gescheiterte geste, die erst im scheitern ihr ganzes potenzial entfalten konnte.

ein gestern, das sich für ein morgen hält.

ein postmusikalischer volksrocknroller, der den soundtrack dazu singt.

ein auf den kopf gefallener volksextremturner, der sich als opferlamm aus der stratosphäre stürzt.

eine volltrunkene bildhauerin, die erklärt, dass die kunst immer schon postfaktisch war, dass man, auch wenn es politisch schwierige zeiten werden, man sich nun auf eine phase reichhaltigen künstlerischen schaffens einstellen kann. dass die kunst ja längst schon wieder solche reibungsflächen gebraucht hätte. dass das nun aber das wirklich einzig positive in der heutigen situation sei. dass sie ihn nicht gewählt habe, aber dass sie es schon, das kann sie hier ja mal zugeben, dass sie es in erwägung gezogen habe.

investmentbanker, die knochenmark rauchen.


ein tisch, darauf ein silbertablett, darauf salatgarnitur, darauf serviert ein menschlicher kopf, aus dem es spricht: „was tun?“


Ferdinand Schmalz — geboren 1985 in Graz, lebt und arbeitet in Wien. 2. Platz beim MDR-Literaturpreis 2013 mit der Kurzgeschichte schlammland gewalt. Retzhofer Dramapreis 2013 für am beispiel der butter. Von Theater Heute zum Nachwuchsautor 2014 gewählt. Das Stück dosenfleisch wurde im Juni 2015 zur Eröffnung der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin in einer Inszenierung des Wiener Burgtheaters uraufgeführt. Mit am beispiel der butter und dosenfleisch jeweils für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert. Weitere Stücke: der herzerlfresser (UA Schauspiel Leipzig) und der thermale widerstand (UA Schauspielhaus Zürich).