(Hello.) (Is it me you’re looking for.) Hydra spricht. (Teil 2)

07. Dezember 2016 — Rechtsterror

Hydra sagt, einundvierzigstens: Das Problem sei doch, habe er lautstark deklariert, dass man heute die Nazis nicht mehr von den bloßen Demagogen trennen könne. Trump ist kein Nazi, hat er geschrien, der ist scheiße, Strache ist ein Nazi, aber der will das Dritte Reich auch nicht zurück. Und einen Krieg schon gar nicht. Kannst du dir vorstellen, hat er lautstark geschrien, wie peinlich das wäre, wenn Österreich plötzlich Frankreich angreifen würde. Mit welchen Waffen? Oder gar Polen? Oder Russland. Hat Österreich überhaupt eine Luftwaffe? Trump ist gefährlich, aber kein Nazi. Strache ist ein Nazi, aber nicht gefährlich. Dieser kleine, feine Unterschied ist gefährlich, verstehst du?

Hydra sagt, zweiundvierzigstens: Martin Sellner schaut andauernd so schwiegermuttergeil drein, und der tut das, glaubt sie, auch wirklich deshalb, weil er sich so “fühlt” und “gefühlt werden will”.

img_5466-820x820-q92
Neulich, im Sprechzimmer … — Dario Damiano

Hydra sagt, dreiundvierzigstens: They were talking about: poetry as a form of resistance.

Hydra sagt, vierundvierzigstens: If you ain’t got nothin’, you got nothin’ to lose.

Hydra sagt, fünfundvierzigstens: Der Kaufmann in mir als Pferd und in ihm versteckt das andere, die Verhohlung, Aushöhlung, Assholung.

Hydra sagt, sechsundvierzigstens: Ich meine, hat er laut und schallend gelacht, Strache, der in Österreich seinen Hitlerträumereien nachgeht. Mit seinem Hund, unter Tränen lachend, mit seinem Hund, Odi! Eine italienische Dogge namens Odi!, prustete er.

Hydra sagt, siebenundvierzigstens: If it walks like a duck, oh, fuck the duck.

Hydra sagt, achtundvierzigstens: Je länger ich nachmittags alleine zuhause sitze, desto mehr spüre ich eine tiefe Angst in mir aufsteigen, dass plötzlich jemand in meine Wohnung tritt, den ich nicht kenne, ich höre zum Teil schon den Boden knarren. Es heißt, der Rückgang von Gespenstersichtungen sei mit dem Aufstieg der Massenmedien verbunden.

Hydra sagt, neunundvierzigstens: Claude Lefort sagt: Jede Revolution trägt das Eigenartige und das Paradoxe in sich, dass sie die Leidenschaften derart mobilisiert, dass manche – welchem Lager auch immer sie zugehören mögen – den Sinn für die Unterscheidung zwischen Realem und Imaginärem, Möglichem und Unmöglichem verlieren, und dass sie unter denen, die bis dahin nicht an ihren Vorrechten zweifelten, besonders aber unter denen, die daran gewöhnt waren, sich zu unterwerfen und zu schweigen, den Willen befreit, sich zu behaupten und Wahrheit von Lüge zu trennen.

Hydra sagt, fünfzigstens: Neulich besuchte ich eine zwölf Stunden dauernde Performance einer Formation, die mit Menschen unterschiedlicher Fähigkeiten arbeitet, unterschiedlicher Fähigkeiten und Abilities, und diese Gruppe aus sechs völlig unterschiedlichen Abilities performte da nun, in einem Raum mit lilafarbenem Teppich, Blumen waren an Säulen gebunden, und sie standen erstmal nur rum, während ein Pianist das Piano zum Klingen brachte, und dann begannen sie, nach vielleicht zehn/fünfzehn Minuten, sich zu bewegen, und auf einmal bewegten sie sich immer öfter und weitläufiger auf dem lilafarbenen Teppich, nur einer von ihnen, ein Performer mit Trisomie 21, bewegte sich etwas träger, dachte ich, doch nach einer Stunde begann ich zu begreifen, dass in dieser Performance, in der die Performer den Prozess eines Hypes nachspielten, dieser eine unter ihnen eben der Nicht-Hype war, das Auge des Sturms, die Normalität, und nach elf Stunden, auf einmal, ging ihm das verloren, er machte doch viel mehr an Bewegung, die die anderen machten, mit, auf einmal konnte er das, im Kontrollverlust, im absoluten Kontrollverlust, wie eine der Regisseurinnen sagte, und doch blieb er für mich die Normalität, die allem Hype entgegensteht, und nach dem Ende der Performance, als alle begannen, ihre Performancekleider gegen ihre Alltagskleider auszutauschen, auch der Pianist, setzte sich das Auge des Sturms auf einmal ans Klavier und begann zu spielen, er spielte Beethoven, Ode an die Freude, und da kamen mir dann die Tränen. WIESO SOLLTE ICH DIESEN TRÄNEN NICHT VERTRAUEN?

Hydra sagt, einundfünfzigstens:

Vertrauen sie nie den Tränen, die jemand weint.

Hydra sagt, zweiundfünfzigstens: Vor Jahren, im Gespräch mit einem schwulen Intendanten, seine Frage, warum um alles in der Welt nun da Schwule auftauchen müssten, in diesem Text?

Hydra sagt, dreiundfünfzigstens: Insert candystorm here.

Hydra sagt, vierundfünfzigstens: Neulich, im Gespräch mit einer Regisseurin, ihre Frage, warum um alles in der Welt denn da nun Frauen auftauchen müssten, in diesem Text?

Hydra sagt, fünfundfünzigstens: Gestern, im Gespräch mit dem THEATER, diese Frage, warum um alles in der Welt denn da nun Nazis auftauchen müssten, die wie Frauen aussähen, in diesem Text?

Hydra sagt, sechsundfünfzigstens: Insert Grenzbereich here.

Hydra sagt: Das Wort kann man vorwärts und rückwärts wie ein interessantes Sexarrangement.

img_5521-820x820-q92
Der Kampf der Geschlechter als Kampf um die Geschlechter. — Dario Damiano

Hydra sagt: (ausgezählt.) Du bist raus.

Hydra sagt: Terror ist Terror und Amok ist Amok und Panik ist Panik und Albträume sind Albträume und Phobien sind Phobien und Lügen sind Lügen und so weiter.

Hydra sagt: Reden wir über Terror, wenn es Terror ist. Und reden wir jetzt. Wir sollten in die Tasten hauen! Für mehr Tastenanschläge gegen den Terror!

Hydra sagt: Reden wir über Kriege, die tatsächlich da sind, um zu verstehen, warum sie da sind, und bereden wir keine Kriege, die da gar nicht sind, die durch das Reden erst entstehen. Gegen sprachliche Aufrüstung! Für eine entwaffnende Sprache!

Hydra sagt: Reden wir über Grenzen, um den Rechten die Grenzen nicht zu überlassen.

Hydra sagt: Grenzen sind historische Bruchlinien. Sichtbarmachungen kriegerischer Auseinandersetzungen. Konsequenzen territorialer Kämpfe. Sie sind nicht gewachsen. Sie sind gemacht worden. Sie sind veränderbar. Wie viel Veränderung verträgst du?

Hydra sagt: Reden wir über Sicherheit, um auch hier die Deutung des Begriffs zu schärfen, um privates Bedürfnis vom gesellschaftlichen Auftrag zu unterscheiden, um Möglichkeit und Tatsächlichkeit zu überprüfen. Ist Sicherheit immer ein Korsett? Ist das Unsichere nur dann bedrohlich, wenn die Auffangnetze nicht mehr sichtbar sind? Wie müssen die Netze der Gegenwart gewebt sein? Von wo bis wo spannen sie sich? Und wer spannt sie?

Hydra sagt: Reden wir über Heimat, um den Rechten die Heimat nicht zu überlassen.

Hydra sagt: Heimat sind Viele. Heimat ist gesellschaftliche Verwebung. Heimat ist das Ineinanderlaufen von Biografien, Verschwimmen von Begegnungen, Vernetzung von Aussagen. Ist die Konfrontation mit dem Fremden im Eigenen. Ist Ablegen von Begrenztheit, Annahme des Anderen. Ort der Öffnung und also Intimität. Moment auch der Verletzbarkeit, Ekstase radikaler Vereinigung. Flirt, im besten Fall, und Wagnis. Halt und Schwindel, ein Akt der Balance, Sprung ins Ungewisse. Gemeinsamer Flug über vermeintliche Verankerungen, Gefängnisse hinweg. Das Anschnallen, wenn alles bebt. Mach doch auch mal auf! Wach doch auch mal auf! Der Blick hinunter, auf Länder, deren Grenzen dann lächerlich erscheinen, im Zusammenhang. Das Fortgehen und Wiederkehren. Welt in ihrer unerwartbarsten Dimension. UND SO WEITER!

Hydra sagt: Reden wir über Hass und auch über Wut und über Angst, um das Feld des Emotionalen nicht zu räumen. Die Negation des Gefühls hilft wenig gegen die Anwesenheit des Gefühls. Auch der Satz: “Ich habe Angst vor den Rechten!“ ist Teil des Problems. Auch der Satz: “Ich hasse Neo-Nazis!“ schafft aufgeheizte Stimmungen. Gibt es einen produktiven Hass? Gibt es eine Wut, die weiterhilft? Gibt es Ängste, die wichtig sind, um woanders hin zu kommen? Können andere Gründe genannt werden, für dieselben Gefühle? Werden die Gefühle damit verständlicher? Reden wir über die komplexe, emotionale Lage. Vereinfachung hilft wenig.

Hydra sagt: Verlieren wir nicht den Humor. Und wer noch nie einen hatte, sollte sich jetzt einen zulegen. Denn im Lachen wird das eigene Scheitern angesichts einer komplexen Wirklichkeit in Lust, Schweiß und Tränen überführt, nicht in blanken Hass. Ich finde, den Rechten fehlt der Humor!

img_5460-820x820-q92
Neulich, nach dem Backlash Friday … — Dario Damiano

(Hydra ist abgelenkt und denkt immer noch an Martin Sellners schwiegermuttergeiles Lächeln.)

Hydra sagt: Das Lachen in Zeiten des Terrors ist kein anderes, wie in den Zeiten davor, denn es gab keine Zeiten davor. Es gab immer eine Gewalt, und es gab das Lachen. Jetzt lachen wir und sehen vielleicht genauer hin. Das Lachen vollzieht sich nun parallel zum Schock, zur Trauer, zur Wut, zur Unvereinbarkeit der Gefühle, die dennoch da sind. Es ist nun, angesichts der Brutalität vor der Haustüre, in Frage gestellt, das Lachen. Das ist kein Grund, damit aufzuhören. Es macht die Anwesenheit des Lächerlichen, Absurden, Grotesken, Bizarren, Morbiden und Fatalistischen erst wieder bewusst.

Hydra sagt: Die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen und Arbeitsmigration operiert mit dem Wert des Leidens, nicht des Geldes. Jene, die mehr erlitten haben, erhalten mehr Rechte. Historisch aber hängen Kriege, Kapital, Arbeit und Migration tiefgreifend zusammen. Gegen die Vereinnahmung des Leidens! Für eine Offenlegung der Ausbeutungszusammenhänge.

Hydra sagt: Es ist nicht an der Zeit, dass alle nun Sozialarbeit machen. Es ist an der Zeit, dass alle, in jeder Berufsgruppe, über das Soziale und die Arbeit neu zu denken beginnen, die neuen Aufgaben mit den eigenen abgleichen, die Ressourcen neu verteilen und auch das Geld. Der Wert der Sozialarbeit ist am Steigen. Das stellt endlich auch andere Werte schärfer in Frage.

Hydra sagt: Stadt und Land sind Begriffe, die wieder neu gegeneinander ausgespielt werden, sodass Stadt und Land sich politisch voneinander entfernen, wenn sie auch ökonomisch, ökologisch und biografisch enger zusammenwachsen. Denn wie viel Stadt bist du? Und wie viel Land? Und wieviel bist du dazwischen? Wir sollten über die Übergänge reden, über Mobilität und Flexibilität, über Synchronisierung und Virtualität, über Flüchtigkeit von Ort und Zeit, über Transformation und Verflüssigung, über das, was das Zentrum so machen würde, ohne Ränder und ob die Ränder denn das Zentrum vermissen würden ... Reden wir über eine Politik der Topografie!

(Hydra selbst sagt immer, sie sei aus der Großstadt, dabei kommt sie aus einem Dorf in der Nähe, der weiteren Nähe einer Großstadt.)

Hydra sagt: Verallgemeinerungen sind nicht hilfreich.

Hydra sagt auch: Alles im Detail zu bereden, sprengt die Kapazitäten.

Hydra sagt also auch: Sprengt die Kapazitäten!

(Hydra flüstert: Wenn dann alles gesprengt ist, im Denken, versucht mal das Vereinzelte im Allgemeinen neu zu verorten. Kann ein kritisches Allgemeines entstehen?)

Hydra sagt: Ich hab's satt, über jeden Rechtsnationalen einzeln reden zu müssen. Sie reden ja auch nicht einzeln über mich. Ab nun nenne ich sie alle einfach und vereinfacht DIE RECHTEN.

Hydra sagt: Wenn die Rechten über ein WIR reden, können wir, die Hydra, auch über SIE reden, DIE RECHTEN.

Hydra sagt: I can be googled, therefore I am.

img_5096-820x820-q92
Wir lernten uns kennen in der Selbsthilfegruppe. — Dario Damiano