26. April 2017 — Rechtsterror

Was will mir denn das Schweigen sagen? Wer hier Täter oder Opfer ist bestimmt nicht. Vielleicht ist es auch das Ende einer Suche, an deren Anfang ja bereits schon klar war, dass da ohnehin nichts kommt. Nichts Großes?, nein, das nicht, und auch nichts Erhellendes und keine sogenannte Wahrheit. Aber was tun mit der Erkenntnis, die keine Erkenntnis ist? Doch wieder reden? Nein, bitte nicht schon wieder reden, damit die Nichterkenntnis nicht auffällt. Bitte nicht schon wieder reden, damit sie endlich auffällt. Was will mir denn das Schweigen sagen? Wahrscheinlich was ich selbst nicht sagen kann, was ich über mich nicht sagen kann. Egal.

Wie kann ich über Täter sprechen, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, was ich bin, wenn ich nur weiß, wo ich mich hinzustellen habe (die richtige Seite), nein, weil ich weiß, wo ich mich hinzustellen habe. Hinzustellen und dann was zu sagen, man sagt ja immer irgendwas, wenn man das Schweigen nicht aushält, wenn man das Schweigen der anderen nicht aushält. Man sagt immer was, um zur Wahrheit beizutragen, zur Wahrheit und zu nichts als zur Wahrheit, so wahr mir dieser Standplatz helfe. Die sichere Position, die gesicherte Position, die abgesicherte Position, die abgeschottete, die abgegrenzte, die erhöhte. Man sagt ja immer was, um sich gegen Bedrohung zu wehren, egal ob die nun nur erfunden, nein, ob die nun empfunden ist oder nicht. Was macht mich also besser als die andren abgegrenzten Positionen?, mal davon abgesehn, dass ich mich über sie erheben kann in Reden und Taten, oder nur in Reden, ja, lieber nur in Reden, sicher ist sicher, ist abgesichert, ist erhöht. Das war ja einfach. Am Besten Erhöht Über allem. Aber ist die Frage nach dem „Besser“ denn die richtige Frage oder einfach nur die bessere, einfach nur die einfachere? Es beginnt beim Erheben, weil man sich auf der richtigen Seite wähnt und endet hier in diesem Körper, der sich nicht bewegen mag. Der sich nicht erheben mag, der seinen Standplatz nicht verlässt, weil er ihn nicht verlassen muss. Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn das Licht angeht. Das Licht ist allerdings längst ausgegangen leider, oder das sogenannte wärmende Licht ist eingegangen, weil wer ohnehin richtig steht, sich nicht um Empathie bemühen muss, das erledigt schließlich der Standplatz.

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Also Taschenlampen an, denn etwas sagen muss man ja trotzdem, damit die Bilder sich ordnen, die sich nicht ordnen lassen, hinter denen das Leben steht, das sich ohnehin nicht ordnen lässt. Hineinleuchten ins Leben, diesen unklaren Sachverhalt. Hineinleuchten in den unklaren Sachverhalt. Oder wieder heraus? Der 25. April 2007, jetzt, zehn Jahre später, was geschah wirklich auf der Theresienwiese?, keine Ahnung, nach wie vor keine Ahnung, nur Ahnungen: das unveröffentlichte Phantombild, ein Täter, der seine blutigen Hände im Fluss wäscht - eine Zeugenaussage, aufgenommen zwei Jahre später, diverse Geheimdiensttheorien, und jetzt: Graffito an der Wand beim Tatort: Aber ist das jetzt der NSU oder gehts hier doch bloß um die Liebe eines Ortskundigen zu Neckarsulm? Was bleibt: der Gruppenführer Kiesewetters als KuKluxKlanMitglied ebenso wie diverse andere Polizeibeamte, wie diverse V-Männer, aaaaah, ich will hier raus! Nein, ich will hier rein. Oder ich will nur rein in die Geschichte, zu der sich die Bilder irgendwann fügen müssen, wenn sie wollen, dass ich, wir, nein, diesmal ich, dass ich das Interesse daran nicht verliere. Wer richtig steht, der muss sich nicht um Empathie bemühen, dem reichen Fakten, die er dann drehen und wenden kann, so lange, bis etwas anderes dabei herausgekommen ist. Eine Geschichte? Vielleicht eine Geschichte, vielleicht auch nicht, ein wärmendes Licht jedenfalls bestimmt nicht. Wir sprechen nicht gerne über Opfer, weil wir dann auch über uns sprechen müssten, weil wir über uns als NichtOpfer sprechen müssten. Nein, auch nicht als Überlebende. Aber als die, die gerne keine Ahnung haben, die keine Ahnung haben müssen, hier im Abgrenzt Richtig Sicher, außer von sich. Von sich - und vom Ansehen, vom Zusehen, vom Zuhören?, nein das nicht, aber vom Betrachten, weil man sich dabei im anderen suchen oder wiederfinden und postwendend abstoßen kann: Aaaaaah, ich will hier raus!

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Und Beate Zschäpe?
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Nein, das diesmal nicht, denn Beate Zschäpe wird vom schweigenden Mädchen zum kranken Mädchen, zum abhängigen Mädchen, zum gestörten Mädchen, zum Opfermädchen, - zum Supermädchen also, das alle devoten Mädchentugenden in sich vereint. Beate Zschäpe: Voll im Trend der Pseudoopfer! Beate Zschäpe als Schutzpatronin dieses Standplatzes vorne weg! Doch keine Rechtsterroristin, Glück gehabt!, weil sie eine schwache Frau ist, und schwache Frauen und Terror passen ja, das lehrt uns das SchwarzWeißMalBuch, auf keinen Fall zusammen. Die Morde hätte sie verabscheut, nein abgelehnt, das lässt sie verlesen. Und obwohl die anderen sich damit noch gebrüstet hätten und sie das aber, ja, igitt, wäre sie, wäre sie trotzdem geblieben, ja, sie habe diskutiert, ja, sie habe gefragt, nachgebohrt, vorgeworfen, ja, auch im Fall Kiesewetter habe sie den beiden vorgeworfen, warum sie, wenn es nur um gute Waffen ginge, nicht einfach ein Waffengeschäft, also, überfallen hätten, anstatt zwei Polizisten zu erschießen und ja, ja!, sie habe sich dann auch gefragt, ob die beiden nicht einfach gefühllos, ja klar, das schon, aber geblieben geblieben wäre sie also naja wäre sie trotzdem - aus Angst? Ja, das auch, - und aus Liebe? Ja, das auch, also wegen ihrer Gefühle für Uwe Böhnhardt und der Angst vor dem Alleinsein wäre sie geblieben, denn sie hätte die beiden gebraucht, zum Überleben gebraucht, ein echtes Opfer also und also wäre sie geblieben und hätte dann als letzten Liebesbeweis die Wohnung angezündet und die BekennerDVDs verschickt, obwohl sie nicht gewusst habe, dass es sich dabei um BekennerDVDs, nein, sie habe nicht gewusst, was sie da dann versendet, ja, ein echtes Opfer eben, nein, ein echt nettes Mädel, denn die Wohnung, die sie angezündet, also, da hätte sie sichergestellt, dass weder Handwerker noch betagte Nachbarin im Haus, sie hätte sichergestellt, dass da keiner im Haus um sich vom Vorwurf des Mordes freizusprechen, nein, um sicherzustellen, dass niemand zu Schaden käme, auch die Katzen nicht, nein, die ohnehin nicht. Und weil sie das alles nie gewollt hätte, nein, habe, egal, da nähme sie jetzt jedenfalls die Schuld, nein, die moralische, sie nähme nur die moralische Schuld auf sich, was immer noch besser ist als keine Schuld, nicht wahr - und auch wenn sie eben keine richtige Schuld, so nähme sie doch die moralische vollständig auf sich und spräche den Angehörigen, auch wenn sie von ganz viel nicht gewusst habe also eigentlich unschuldig quasi, spräche sie, das Opfer, das kranke, abhängige Opfer, trotzdem den Angehörigen für die Taten, die Taten der anderen, spräche trotzdem sie ihnen eine aufrichtige Entschuldigung aus.

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Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn das Licht angeht. Wie kann ich aber sehen, ob ich richtig stehe, wenn ich ohnehin nichts sehen kann, weil ich immer richtig stehe. Wie kann ich sehen, ob ich richtig stehe, wenn ich ohnehin ja immer richtig stehe, weil ich sprechen kann, auf andere herabsprechen kann.

Wenn das Schweigen was zu sagen hätte, würd mich interessieren, was es mir zu sagen hätte.


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.