28. September 2016 — Land/Stadt

Frei nach Paul Celan1

Eines Morgens, die Sonne, und nicht nur sie2, war aufgegangen, da geht, tritt aus seinem Versteck, der Nationalist, der ausgesprochene, kommt daherstolziert, lässt sich hören, er will doch gehört werden, weithin: hört ihr ihn? Ihr hört ihn! Er ist's, den ihr hört! Geht eines Morgens, da Einiges am Aufgehen, nicht nur die Sonne, auch die Gesinnung, geht unter freiem Himmel, geht im Licht, dem der Scheinwerfer, die ihm folgen, dem, das er reflektiert, an seiner Sonnenbrille (denn der Nationalist muss sich nicht verbergen), da geht er also und kommt, auf der Panoramastraße der Heimat, der unvergleichlichen, geht, wie Lenz (den er freilich nicht gelesen hat!), durchs Gebirg. Und dann steigt er in eine Gondel, die ihn hochbringt, den Nationalisten mit der Sonnenbrille, hoch ins Gebirg, denn hoch will er hinaus, da wird bald schon Einiges aufgegangen sein!

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Die Zugspitze, 2962 Meter hoch, als symbolischer Ort der „Höhenflüge“ von AfD und FPÖ. Frauke Petry und Heinz Christian Strache trafen sich dort am 10. Juni 2016, medial inszeniert als „Gipfeltreffen“.

Kommt also herauf, der Nationalist, übers Tal, die Nation im Gepäck, das er stolz und kraftvoll hebt, heraufheben tut er's, die Nation, und er trifft heroben, im Gebirg, die Nationalistin. Und wenn ein Nationalist trifft auf eine Nationalistin, im Gebirg, dann wird zuerst, zu aller erst, recht schön geschaut. In die Scheinwerfer, die ihnen folgen, und hinaus ins Heimatpanorama. Geschaut wird erst, recht schön, und schön ist's, wie sie schauen, der Nationalist und die Nationalistin, im Gebirg, an der Grenz der einen Nation zur anderen. Schauen grenzübergreifend, Hand in Hand fast, möcht man sagen, hinein ins eine, hinüber ins andere. Die Länder, Hand in Hand, man möcht fast sagen, eine Ahnung vom Anschluss in der Alpenluft.

Da schauen sie noch immer, schön (denn das Wetter ist schön, wenn Nationalisten wandern, immer ist es schön!), denn sie ist doch, von ihrem Wesen her, eine Schönheit, die Nation, die eine wie die andere. Prachtvoll tut sich der Himmel auf, Klarheit im Blick, Reinheit im glänzenden Weiß, denn es liegt Schnee heroben, im Gebirg, auf fast 3000 Metern, so hoch hinaus geht’s bald, so wird gesagt. Sie setzen an, zum Höhenflug, zum Gipfelsturm, denn der Aufstieg ist dem Nationalisten seine Natur, der Fels seine natürliche Umgebung (auch wenn der jetzt nicht wirklich vom Berg, also, der Nationalist, der ausgesprochene, der ja eigentlich aus der Stadt, und auch sie, aus der Stadt, aber dennoch: die Alpen haben sie im Blut, im nationalen, so ist das nun mal!)

So strahlt der Tag überm Schneefeld, nichts mag sie betrüben, nur die Wolken am Horizont, sie stehen an den Grenzen, sieht denn keiner die Grenzen? Da braut sich was, sagt die Nationalistin, ordentlich tut sich da was brauen, sagt sie, und er, der Nationalist, nickt bekräftigend, und kräftig steht er da, vor ihr, die von der Seite des Deutschen, und er von der Seite des Österreichischen, und doch beide das Deutsche im Blut. Sie nicken auf Deutsch, es ist ein deutsches Nicken, das Bescheid weiß, dass das, was sich dort zusammenbraut, an den Grenzen am Horizont, nichts Gutes bedeute. Sie deuten sich, im Guten sich wähnend, jetzt doch erst mal zu setzen, im Gebirg, denn es sei Zeit für eine Jause.

„Wenn Staatsgrenzen Österreichs und der Bundesrepublik Deutschland sich hier treffen, dann gibt's keinen geeigneteren Ort, bei dieser herrlichen Kulisse, bei dem Panoramablick, den wir hier haben, also, das ist einfach schön, sozusagen.“

— Heinz Christian Strache, Gipfelstation auf der Zugspitze, 10.06.16, Video auf derstandard.at/2000038659740/Charmantes-Treffen-auf-der-Zugspitze

Er packt also die Jause aus, der Nationalist, hat Wurst dabei, kräftig, und auch Käse, wie sich's gehört: ordentlich jausnet der Nationalist! Und sie, die ebenfalls die Wurst und den Käse, fragt, ob er was abhaben will, von ihrer Wurst, der Käse wird geteilt, geschwisterlich, unter Schwesterparteien. Sie teilen die verwandte Gesinnung, rechte Familienaufstellung, nenn's auch Neigungsgruppe Volksgemeinschaft, sie beide nun beim Jausen, und mit ihnen jausnet sozusagen auch das Volk. Durch sie hindurch. Das Volk beißt mit ihnen in Wurst und Käse und auch Brot, das da geteilt an diesem Tag des guten Wetters (auch wenn da eine Front sich naht, da wird man sich noch rüsten müssen, da sind wir uns alle einig!) Das herauflachende gute Land speist sich an dem Anblick, dass da jetzt endlich die Geschwisterführer (denn einer muss ja führen, so sagen sie) einander ganz nah und vertraut, jetzt führen sie uns bald beide (uns, das Volk) in die Zukunft, Prost und Mahlzeit! So sagen sie's in die Kameras, die mitgefahren in der Gondel und nun die Jausnenden umzingeln (die sind jetzt nun schon beim Bier).

Das darf man sich, ein Gipfelbier, an diesem Morgen, an dem die Sonne, und nicht nur sie, man gönnt ihnen alles, an diesem Morgen, da sie die Wurst noch zwischen den Zähnen und das Volk so liebevoll auf den Lippen tragen. Unsere Geschwisterführer, vereint am Gipfel, haben Anschluss gefunden, zueinander, im Gebirg, das doch jetzt auch symbolisch zu verstehen sei, das Gebirg, das uns verbindet: wir sind die Nationen der Alpen! Es zeigt sich der Zusammenhang des Völkischen in diesem Besteigen der Alpen, auch wenn da jetzt wer mit der Gondel, auch die Gondel ist ein heimisches Qualitätsprodukt (exportiert bis ins Asiatische). Wir kennen unsere Berge, denn wer von hier ist, der kann, von der Muttermilch an quasi, auch klettern. Den Wüstenmenschen zeige man mir, so sagen die Bilder (sie sagen's nicht direkt!), den Falafeljausner und Sandalenträger zeige man mir, der hier so selbstverständlich und flink am Fels sich beweise wie die Frauke und ich, gleich den heimischen Gämsen, so sei das eben! Der Wüstenmensch kenne die Wüste, der Alpenmensch seine Alpen, die da ja auch jetzt das Kreuz, man vergesse nicht das Kreuz auf den Alpen: katholisch kraxelt die Nation!

Überhaupt ist die Nation eine sportliche, das zeigt auch der fesche Anorak, ein Heimatprodukt ebenfalls, der gute Nationalist ist ausgerüstet, gegen jede erdenkliche Witterung. Er wittert die Katastrophenwolke am Grenzhorizont, da wird er nicht mit falschem Rüstwerk vorgehen, die Sicherung ist alles beim Wandern. Und wandern tut er, der Nationalist (auch da sind wir uns einig), weil das Wandern doch der Heimat Lust, aber bitte jetzt nicht hauptberuflich! Diese grenzenlose Völkerverwanderung, die da jetzt so hereinplatzt, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit und sogar auch am Sonntag, die hat jetzt rein gar nichts mit dem eigenen Wandern. Anständig wandert der Heimische nur in der Heimat. Freizeit ist Freizeit. Und das Geschäft mit dem Flüchtlingstourismus ist ein Verkommenes und Schlechtes, damit haben wir jetzt rein gar nichts am Hut.

Sie ziehen sich die Hauben über, der Nationalist und die Nationalistin, denn es zieht nun leicht herauf, aus Rissen im Geröll, aus Spalten da im Fels, ist's denn der Wind der Gegenwart? Die kann ihnen doch nichts, sie nehmen's leicht. Die Haube sitzt und nochmals: Prost. Doch wieder, zuckt ihm nun das Aug? Ja, hat er denn überhaupt ein Aug? Er nun, mit der Sonnenbrille, er legt sie ab, es juckt ihn wohl, und tatsächlich: sie haben, auch sie, Augen, aber da hängt ein Schleier davor.3 Ganz lieb schaut er drein, verschleiert die Gewalt, und volksnah im Blick, in nationaler Vollverschleierung! Er hebt die Hand und kratzt sich was heraus, es wird doch nicht, es ist nicht denkbar (er will es nicht denken): weht hier, schwerer als vermutet, die Vergangenheit ihm herein? Der Fels hat doch Geschichte! Im Wind, der stärker wird, ein kaltes Schweigen nun (das ist's, was ihn juckt, auch wenn er sagt, es juckt ihn nicht). Das lässt, für einen Augenblick das Anschlusspaar, das neuerliche, stocken, doch keiner hat's gesehen. Das Bild bleibt heil! Die Stirn, die da so inszeniert im Stolz, sie trotzt dem Frost. Weil umso mehr (mag da wer jetzt auch noch so Zeigefinger heben, der Erinnerung): sie harren aus, ja, eingemeißelt sozusagen. (Der Nationalist kennt seine Rolle, er hat sie sich gut abgeschaut: wir sehen hier ein Re-Make fast der UFA, Alpenglühen und so weiter...) Heroisch nun die letzte Klappe: Klappe auf und noch ein Wort für Heiterkeit und Seele: Prost. Die Gläser nochmals gehoben wie einst die Hände, ein erhebender Moment.

So wird das Lachen uns am Berg im Abspann der Berichterstattung fast monströs, es wächst ihm lang schon raus, aus dem Gesicht, auch ihr, die Kameras können's gar nicht mehr zeigen. Am Bildrand bleibt zurück, der Hohn. Ach, schön, wie schön! Auch wenn da Wolken künden Schlimmes am Horizont. Wie schön! Und siegessicher schweigen sie (denn Sicherheit wird siegen, sicherlich). Ausgesprochene Andacht nun am End: Wir gedenken hier der Heimat, soll das heißen, nach der Predigt die Besinnung. Auch wenn besinnungslos das Grauen schreibt sich fort. Das nationale Schweigen ist ein lautes. Grässlich laut. Dazu, zuletzt, ein Heimatchor:

In de beag bin i gean.
Weu do gfreit si mei gmiat.
Wo da hitla woa waundan,
Und da Jud is vabliat.


  1. Der Text bezieht sich auf eine Erzählung von Paul Celan, in der das Grauen des Holocausts hörbar wird, im Reden, Verstummen und Schweigen zweier Juden, die im Gebirge aufeinandertreffen. Es ist eine der wenigen Prosa-Arbeiten Celans, und eine der rätselhaftesten. Der Text kann biografisch gelesen werden, als Referenz auf ein Treffen zwischen Celan und Adorno, das für den 22. Juli 1959 in den Schweizer Alpen geplant gewesen war, jedoch war Adorno nicht erschienen. Ich lese den Text als Versuch, eine Sprache zu finden, für etwas, was unsagbar geworden ist, und kehre ihn um: Im Munde der Nationalisten ist alles wieder sagbar und das Schweigen ein Zeichen des Hohns. Vgl. Paul Celan: Gespräch im Gebirg. Gesammelte Werke. Dritter Band. Frankfurt am Main, 1983. 

  2. Bei Celan beginnt die Erzählung nicht mit dem Aufgehen der Sonne, sondern mit dem Untergang: „Eines Abends, die Sonne, und nicht nur sie, war untergegangen, da ging, trat aus seinem Häusel und ging der Jud, der Jud und Sohn eines Juden, und mit ihm ging sein Name, der unaussprechliche, ging und kam, kam dahergezockelt, ließ sich hören, kam am Stock, kam über den Stein, hörst du mich, du hörst mich, ich bins, ich und der, den du hörst, zu hören vermeinst, ich und der andre, er ging also, das war zu hören, ging eines Abends, da einiges untergegangen war, ging unterm Gewölk, ging im Schatten, dem eignen und dem fremden – denn er Jud, du weißts, was hat er schon, das ihm auch wirklich gehört, das nicht geborgt wär, ausgeliehen und nicht zurückgegeben –, da ging er also und kam, kam daher auf der Straße, der schönen, und unvergleichlichen, ging, wie Lenz, durchs Gebirg, er, den man hatte wohnen lassen, unten, wo er hingehört, in den Niederungen, er, der Jud, kam und kam.“ - Vgl. ebda. 

  3. Bei Celan ist der Schleier etwas, was hinter den Augen den Blick vernebelt, als würde es nicht mehr möglich sein, deutlich zu sehen: „Aber sie, die Geschwisterkinder, sie haben, Gott sei's geklagt, keine Augen. Genauer: sie haben, auch sie, Augen, aber da hängt ein Schleier davor, nicht davor, nein, dahinter, ein beweglicher Schleier; kaum tritt ein Bild ein, so bleibts hängen im Geweb, und schon ist ein Faden zur Stelle, der sich spinnt, sich herumspinnt ums Bild, ein Schleierfaden; spinnt sich ums Bild herum und zeugt ein Kind mit ihm, halb Bild, halb Schleier.“ - Vgl. ebda. 


Thomas Arzt — geboren 1983 in Schlierbach (Oberösterreich), lebt in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Schreibt Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Theaterstücke.

→ http://www.thomasarzt.at