Reinhard Olschanski: Nachdenken über Ressentiments und Populismus

Ein Gastbeitrag von Angie Martiens
29. August 2018 — Demagogie

Reinhard Olschanski (*1960)
Philosoph. Autor. Publizist.

Am Anfang stand das Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und dem italienischen Urbino. Es folgte die Promotion – bei keinem geringeren als dem Sozialphilosophen Axel Honneth, einem der meist rezipiertesten Philosoph*innen der Gegenwart. Mit den Jahren arbeitete Olschanski in der Lehre sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im nordrhein-westfälischen Landtag und im Stuttgarter Staatsministerium. Und er schrieb. Er schrieb über Politik und Philosophie, über Musik und Kultur. Er schrieb über Neokonservative und über Probleme der Linken, über Populismus und Ressentiments.
Das Gespräch fand im Juni 2018 während der Konferenz Ängst is now a Weltanschauung im Ballhaus Ost statt.

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Reinhard Olschanski im Ballhaus Ost © Sabrina Richmann

7 Fragen an: Reinhard Olschanski

Was ist das: Ressentiment?
Olschanski: Ressentiment wird sichtbar in überzogenen Reaktionen, etwa in Groll und Wutanfällen, die der Situation, in der sich auftreten, nicht angemessen sind. Relativ typisch in der heutigen Situation dürften zum Beispiel Affekte gegen Kopftuch tragenden Frauen sein, wo der Anblick eines Kopftuchs die Wut auf dessen Trägerin bei einigen ja fast magisch auslöst.

Wo liegen die Ursprünge für Ressentiments?
Olschanski: Die Gründe und Ursachen liegen offenkundig jenseits des aktuellen Zusammenhangs. In diesem wird nur etwas nach-gefühlt, ‚re-sentiert‘, das in der Vergangenheit liegt. Es kann sich um Ängste handeln, um alte Verletzungen und Kränkungen handeln, die mehr oder weniger beliebig auf das aktuell wahrgenommene Objekt oder die gegenwärtig durchlebte Situation bezogen werden. Wie kontingent die Zusammenhänge hier tatsächlich sind, zeigt die Allgegenwart des sogenannten Sündenbockprinzips: Irgendjemand muss ja immer ‚schuld sein‘, egal wie hanebüchen die Schuldkonstrukte sich dann ausnehmen.

Was macht populistische Rede aus?
Olschanski: Der besondere Redegegenstand, den sie hat, und die Art und Weise, wie sie sich auf ihn bezieht. Der Gegenstand der populistischen Rede ist kein sachlicher, sondern ein persönlicher, ein Individuum oder eine Gruppe, der negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Populistische Rede ist letztlich Feindbildkonstruktion. Davon ist sie in jeder Faser besessen.

Wo liegt der Unterschied zwischen Populismus und der allgemeinen persuasiven Macht von Rhetorik?
Olschanski: Seriöse Rhetorik will korrekt darstellen, sachlich überzeugen und zu einem angemessenen praktischen Handeln motivieren. Populistische Rhetorik will Feinde ausdeuten – und sei es mit Hilfe von ‚Fake News‘. Sie will untergründige Ressentiments aktualisieren, indem sie ihnen persönliche Objekte zuweist. Das ist es, was sie immer und immer wieder tut, tagtäglich neu. Es ist schon skurril, welche Feindbildansammlungen zusammen kommen, wenn man nur ein paar Wochen den AfD-Populisten zuhört. Da wird gesagt, dass die Menschen nicht in der Nähe von farbigen Fußballnationalspielern wohnen wollen und Verkehrspolizisten Knallchargen mit Blitzgerät seien, kritische Journalisten sind Teil der ‚Lügenpresse‘ und Flüchtlinge und Migranten stehen sowieso unter Generalverdacht. Man schafft sich rhetorisch einen ganzen Stall von Feinden und jede Menge Aufmerksamkeit.

Im gegenwärtigen Diskurs taucht der Begriff Populismus primär im Zusammenhang mit den neuen rechten Bewegungen auf, obwohl Populismus selbst bei weitem kein neues Phänomen ist. Woher kommt das?
Olschanski: Tatsächlich ist das populistische Grundprinzip der Feindausdeutung denkbar weit verbreitet. Es wurde vom Nazismus genauso wie vom Stalinismus praktiziert. Denken Sie nur an die absurden Schauprozesse der 30er Jahre, das ist populistische Feindausdeutung pur. Gegenwärtig reüssieren vor allem Rechtspopulisten mit dieser Methode. Ihre Arbeit ist immer ein Stück Zerstörung der Vernunft, egal, wo sie herkommt und auftritt.

Wo liegen die Zusammenhänge von Ressentiments und Populismus?
Olschanski: Populismus ist gezieltes Schüren von Ressentiment. Wir haben es dabei mit einer Art Zwei-Komponenten-Sprengstoff zu tun. Gefährlich wird es, wenn beide Komponenten zusammen kommen: Einmal die professionellen Ausdeuter von Feinden, die populistischen Redner, die das zum Teil sehr virtuos machen. Zum anderen ein Publikum, das für solche Ausdeutungen ein offenes Ohr hat. Wenn man darüber nachdenkt, wie man den Populismus zurückdrängen kann, dann ist es sehr wichtig, zu sehen, was da eigentlich zusammenkommt, um eine solche Wirkung zu entfalten.

Es entwickelt sich derzeit eine Gesellschaft, die zunehmend auf ihre eigene Sprache guckt. Ist das ein Zeichen einer kritischeren und reflektierteren Gesellschaft oder eher Zeichen einer Gesellschaft, die sich in Oberflächlichem verheddert statt Fundamentales anzugehen?
Olschanski: Es ist sehr schwierig, ‚Sprache‘ und das, was ‚eigentlich‘ wichtig ist, auseinander zu halten. Wir sind ja sprachliche Wesen und das, was für uns wichtig und unwichtig ist, ist es zu einem guten Teil aufgrund seiner sprachlichen Codierung. Sprachkritik ist also sehr wichtig, auch um etwas über uns selbst zu erfahren, wie wir funktionieren und wie unsere Vorlieben und Abneigungen eigentlich zustande kommen. Allerdings muss man sehr viel Fingerspitzengefühl haben. Ich erinnere mich noch an die Kritik, die die Politik vor einigen Jahren wegen der Rechtsschreibreform einstecken musste. Präskriptive Eingriffe in Sprache sind etwas sehr Heikles. Aber es gibt auch sprachliche Gewalt, Verhetzung und Diskriminierung. Da einfach zuzusehen wäre falsch verstandene Liberalität. Toleranz der Intoleranz gegenüber führt sich selbst ad absurdum.


Angie Martiens — 1991 in Berlin geboren und aufgewachsen. Studium der Germanistik, Politikwissenschaft, Neueren Deutschen Literatur und Tanzwissenschaft mit Fokus auf Gender Studies in Berlin und Stockholm. Bloggt seit 2017 auf Litaffin über Literatur und Kultur, arbeitet an der Freien Universität Berlin und organisiert im akademischen Raum Veranstaltungen zu Fragen von Gender und Diversity.