SOLIDARITÄT: WORÜBER WIR SO REDEN. Konferenzprotokoll #2

Ein Gastbeitrag von Juli Katz
12. September 2018 — Demokratisierung

Die Literaturkonferenz Ängst is now a Weltanschauung fand im Juni 2018 auf Initiative von Nazis & Goldmund im Ballhaus Ost Berlin statt und wurde von Juli Katz, Angie Martiens, Juliane Noßack und Fabian Thomas in einem Blog begleitet. Für die Arbeitsgruppe "Solidarität ist eine Zärtlichkeit der Künste - Bündnisse, Allianzen, Kompliz_innenschaften organisieren" protokollierte Juli Katz, unterstützt von Fabian Thomas.

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SOLIDARITÄT MUSS ORGANISIERT WERDEN

Teams bilden, die reagieren – bei Social Media, Blogbeiträgen, öffentlichen Auftritten. Grad in der queerfeministischen Szene – viel Neid, nicht auf Gemeinsamkeiten und Solidarität basierend, sondern Abgrenzungskämpfe untereinander. Auch an Solidarität unter Rechten – da wurde Jahrzehnte dran gearbeitet, bis das so funktioniert und auch jetzt populistische Stategien so greifen. Kann man sich das wieder zurückholen und neu für sich beschreiben? Und Bündnisse schließen, die sich auf einen kleineren gemeinsamen Nenner einigen können? Haben auch wir jetzt verstanden, dass Demokratie nicht mehr selbstverständlich ist, etwas auf dem Spiel steht und wir etwas behaupten müssen? Wie kann der Literaturbetrieb weniger chauvi werden? Wie kann MeToo durchsickern? Sollen wir Plattformen gründen und uns gegenseitig rezensieren, und das nicht mehr denen überlassen, zum Beispiel weißen Männern? Wie kann man ein Format gründen, wo auch mal andere Stimmen stehen? Bin ich selbst überhaupt sichtbar und wahrnehmbar genug? Oder geh ich unter in kollektiven Verbindungen? Ist untergehen dann gut oder schlecht?

SOLIDARITÄT MUSS GEZEIGT WERDEN

Öffentlich einander zitieren! Schätzen und Wertschätzen! Kollektive gründen! Das Feiern und Mitfreuen ist nicht Unterwerfung, sondern stärkt eine Szene, die eine andere Haltung hat. Bewusste Entscheidung: Wir sind solidarisch miteinander! Wir erlauben einander, zu wachsen, zu lernen, Fehler zu machen; wenn das genug Menschen gleichzeitig tun, sind das Bilder, die wir sehen, und Menschen lernen das. Theaterstücke, Serien zu schreiben, wo das gelebt wird – genau wie Operas uns erziehen, können wir das auch. Wir sind nicht gut im Verteidigen dessen, was erkämpft ist.

KRITIK IST KOSTENLOSER UNTERRICHT

Nicht nur darüber aus passiver Position sprechen, sondern auch: Wie können wir uns besser gegenseitig kritisieren, ohne den Karren mit 180 km/h an die Wand zu fahren? Wie kann was vorgelebt werden, anstatt Disfunktion auszustellen, oder was ist die Utopie davon oder unsere Vision davon? Wir müssen uns damit auseinandersetzen – über Neid, wer welches Team bekommt, und wie wir damit umgehen, und wir müssen ehrlich sprechen und am Ende sich auf die eigene Arbeit und die Solidarität zu konzentrieren. Calling in und Calling out – Calling out ist leichter, weil profiliert; Tweets und Facebook als digitale Visitenkarten, nicht wie in diesem Raum, wo was gesagt wird und danach weg ist. Architektur des Internets: Alles bleibt fortwährend bestehen. Incalling ist anstrengender: Jemanden persönlich anzuschreiben, ist anstrengender: Komm, ich nehm dich mit. Wir wachen ja nicht auf und sind nicht plötzlich antirassistisch und feministisch. Manchmal ist Calling-out unheimlich wichtig, wenn Redaktionen merken, sie kommen mit Rassismus nicht davon, oder Fernsehserien kommen nicht mehr damit davon, nur eine einzige PoC zu haben.

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WIR BRAUCHEN NICHT NUR REAKTIVES – SONDERN AGENDA!

Empathische Momente, die was Neues aufmachen und schaffen. Wie schaffen wir es hier, ein riesiges Netzwerk zu bilden? Hat Angela Merkel den Auftrag an die Künstlerinnen, uns, gegeben??? Wir glauben, wir müssen hinhören und pädagogisch handeln und Empathie aufbauen und Psychologie verstehen. RECHTE RHETORIK ENTWICKELT SICH LEICHTER MIT DEM HINTERGEDANKEN, MAN WÄRE IM KRIEG – und wir schaffen POSITIVE NARRATIVE? Übers Glück lässt sich schwerer schreiben als über den Konflikt. Geht’s eher um den Versuch, den Diskurs mitzubestimmen? Themen in Quarantäne stellen? Wieso geht die Neue Rechte durch jede Talkshow? Wieso gibt’s nicht die Nazifrage – sondern man spricht über Geflüchtete - aber was unsere Gesellschaft verändert, ist das Erstarken der AfD, Neuen Rechten. Wir sollten wieder versuchen, uns zu verstehen, als jemand, der Debatten und Themen mitbestimmt, und über die NR sprechen, über Seximus und Co. Rechte Solidarität gibt sich daraus, dass ein klares Feindbild vorhanden ist.

GEMEINSAM SCHREIBEN – ÜBEREINANDER SCHREIBEN

Die Strategie der Rechten, ist das überhaupt eine Strategie? Oder handelt es sich nicht viel mehr um reine Aufmerksamkeitsökonomie, nach der dann die gemäßigten Stimmen nach vorne geschickt werden? Es ist festzuhalten: Die Rechte wähnt sich im Krieg; schließt sich zusammen – die Linke ist im Ausdifferenzierungsprozess. Ziel sollte sein, einen kleinsten gemeinsamen Nenner (Menschlichkeit! Liebe!) zu finden: Unterschiede aushalten! Solidarisch bleiben, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist – und nicht immer direkt von allem distanzieren!

Stichwort gemeinsamer Nenner: Es geht nicht um die eine gemeinsame Lösung, sondern die Vielfalt der Strategien, die gemeinsam ins Ziel laufen – sonst verteilt sich auch die Aufmerksamkeit zu sehr. Ein Beispiel: Gegenseite lässt sich nicht von Argumenten überzeugen – trotzdem lohnt sich der Versuch, vielleicht ändert sich dann beim zweiten oder dritten Versuch etwas?

UND DER LITERATURBETRIEB?

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Wie könnte eine Lösung für den Literaturbetrieb aussehen? Sich gegegenseitig Kritiken oder Rezensionen schreiben – sich mehr untereinander featuren, wenn man im selben Bereich arbeitet, weil man dort denselben Horizont hat. Einwand: Als Autorin den Betrieb neu gestalten, mitgestalten, kann man das sich selbst einräumen? Ist das sinnvoll? Oder stößt man da nicht auf ein Kapazitätsproblem? Als Autorin ist man schon darauf konditioniert, Aufmerksamkeit zu erzeugen.

These: Das läuft der Solidarisierung entgegen – auch im Unterschied zu anderen Kunstgattungen!

Nicht vom Literaturbetrieb aus gesprochen: Man könnte viel anders machen, es gibt eine große Bereitschaft, neue Formen zu wählen, ist immer gewünscht (Beispiel: Aktion „Ausnahmslos“), diese leben nicht zuletzt von Spontanität. Eigentlich: Große Niedrigschwelligkeit! Gleichzeitig die Gegenbewegung: Man hat Angst, Farbe zu bekennen, man befürchtet, in eine Ecke abgeschoben zu werden.

These: Auch für Autorinnen gilt, diejenigen, die kollektiv gearbeitet haben, die in ihrer Zeit geschrieben haben und sich nicht losgelöst von allem gesehen haben, sind universell geworden.

(Gibt es einen trotzdem einen Rückzugsort, z.B. für den Körper? Zurschaustellung im Betrieb, Verletztbarkeit?)

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GEGEN DEN KULT DER EINSAMKEIT

Literaturbetrieb muss sich neuen Formen der Kommunikation zwischen Kunst und Konsumenten öffnen – aber auch dort gibt es wieder Tendenzen, die vereinnahmend sind (Personenkult, Institutionenkult). Trotzdem öffnet sich dort gerade viel: Öffentlich Stimme ist da; Selbstschutz auch, Kult der Einsamkeit ist auch da, aber: Einsamkeitskult ist letztlich verantwortungslos! Auch Zerbrechlichkeit, Ausgeliefertsein kann zur Marke werden – zurückziehen ist nicht per se schlimm, aber man muss sich über das Privilegiertsein klar sein.

Bedürfnis nach Vernetzung; Bedürfnis, Hierarchiene aufzubrechen: Beispiel: Netzwerktreffen der Theatermacherinnen Burning Issues*

Vermeiden, sich selbst als Künstler mit seinem Werk zu inszenieren, weil Kritik dann direkt die Person trifft – lieber Figuren entwerfen, in den Raum stellen, auf die man diese Strömungen lenken kann. Der Wandel muss selbst angefangen werden! Machtbegriff von seiner herkömmlichen Bedeutung entkoppeln – Macht auch für sich nutzen, z.B. einen Diskurs nicht an sich heranlassen. Immer im Hinterkopf behalten: Machtbegriff der Rechten, die sich den Raum nehmen, man muss sich selbst ermächtigen, darf sich nicht in die Defensive drängen lassen. Schreiben und Ohmacht ist ein Problem beim eigenen Arbeiten, aber auch ein kollektives Problem – Lösungsansätz müssen daher auch kollektiv angegangen werden! Der Kollektivgedanke gilt dabei auch für Lesereihen, Lesbühnen, Zusammenschlüsse; dabei kann er sogar entlastend wirken – Vernetzung wird mit der Zeit auch einfacher.

WIE KANN ES ANGEGANGEN WERDEN

Es bedarf einer direkten, politischen Aktion. Die eigene künstlerische Arbeit reicht nicht mehr aus. Mehr Gesicht zeigen für eine politische Agenda: Kollektiv arbeiten, Texte veröffentlichen. Kontakt kann gehalten werden über Facebook oder durch Mailinglisten. Der rechten Sprache müssen mit orchestrierten Aktionen Entgegnungen gegenübergestellt werden.

IDEENSAMMLUNG

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Die Gründung eines Autor*innenkollektivs als Netzwerk, das sich dezidiert politisch äußert und Aktionen wie Tellkamps Unterschriftenliste etwas entgegensetzen kann. Veröffentlichungen verschiedener Positionen, orchestriert an verschiedenen Orten, um eine Debatte herzustellen. Lähmung und Nichtstun überwinden, Nicht mehr Bedenken wälzen. Im Resultat sich auch als politische Person besser fühlen!

Eine gemeinsame Erklärung veröffentlichten, z.B. nur drei Sätze, die überall genannt und eingebaut werden können und sich gegen bestimmte rechte Positionen wenden; erweitert auch als Kampagne denkbar.

Schaffung einer gemeinsamen Agenda, Gründung von Think Tanks, die Aktionen mit Inhalten füllen können.

Tendenz: Spontan aktiv werden und agieren, gleichzeitig längerfristig über Artikel oder Essays agieren

TO DO

Wie soll die Vernetzung (digital?) funktionieren?

E-Mail-Verteiler + regelmäßige persönliche Treffen

Digitaler Salon, Piratepad, Titanpad

PS: Es muss nicht immer alles mit allen gemacht werden – Ansatz sollte vielleicht der einer gemeinsamen Agenda sein, dann kann sich wiederum in Untergruppen weiterorganisiert werden.

PPS: Bei allem auch den Humor mitbedenken, humorvolle Slogans erfinden (Glänzende Demo) – mit dem Ziel der Solidarisierung durch gemeinsame gute & fröhliche Stimmung.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ein gemeinsamer Text soll verabschiedet werden.

  • Schaffung einer Agenda mit drei bis fünf kompakten Slogans.

  • Überlegung eines Toolkits schaffen, Codes, Vereinbarungen.

Plan für morgen: Aufteilung in Kleingruppen, Weiterentwicklung der Ideen.

Mitarbeit: Fabian Thomas

Fotos: Sabrina Richmann


Juli Katz — studierte kreatives schreiben & kulturjournalismus in hildesheim sowie angewandte literaturwissenschaften in berlin. als teil der künstlerischen leitung der literaturzeitschrift BELLA triste konzipierte sie 2014 PROSANOVA, ein festival für junge gegenwartsliteratur. momentan macht sie irgendwas.