02. November 2016 — Rechtsterror

In Linz gibt es viel Polizei
Und trotzdem bin ich allein
Ich tanz die ganze Nacht
Und trotzdem bin ich allein— Gustav

Das Monster steht vor den Toren Europas mit traurigem Blick, denn eingelassen wird es nicht, Europa ist jetzt wieder Prunk und Protz, ist Festsaal, schöne Festung, es hat die alten, ehrwürdigen Wände hochgezogen, sich zurückgezogen, denn wo Geschichte ist, kann man nichts falsch machen, nein, alles falsch machen, Geschichte nicht erinnern und im Rückzug alle Lügen überdauern, die man selbst in die Welt gesetzt hat, so lange, bis das letzte Bisschen Wahrheit drunter verschütt gegangen ist und man wieder was zu reden hat, was zu sagen, ist ja sonst keiner mehr da, der gehört wird, nein, den man hören will. Das Monster steht vor den sogenannten Toren Europas (von Massivholz bis Klinke auf Verteidigung gebürstet) und trägt dasselbe traurige Gesicht wie neulich nächtens beim Stadtspaziergang, Kellerbar1, of monsters and monsters, die Monsternasen (viele) an der Scheibe plattgedrückt, die Monstertränen ein Sturzbach, und ja, der darf eintreten, der darf eindringen, (denn wer könnte diesen Tränen nicht vertrauen?), nur Monster müssen draußenbleiben, Monsterarme und -beine (viele) haben sich im vorsorglich aufgestellten Zaun verheddert — Phalanx Europa Sonderangebot: Buy a Martin-Sellner-Smile (Schwiegermutter-approved), get a ZAUN for free — und hinterm Draht, hinterm Fenster bricht sich Diskokugelglitzer, werden Schuhspitzen nass, egal, drin tanzt der Held den Rechtstango, er hebt sein Bourbonglas, das Monster draußen hebt das Konterfei. I bin a — ja, was denn eigentlich? Nach der klaren Identität gesucht, den VOLLKShochschulkurs gebucht, aber immer noch im WIRR verloren, während das Wir mit Lambdafahne (oder mit Österreichfahne oder mit der Fahne, bei der wir beide Augen zudrücken, die wir uns aber vorher gleich noch präventiv und sauber ausgestochen haben) sich als schöne Körpereinheit präsentiert.

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Recherche 1. I bin a Autorenschreibtisch. — Thomas Köck

Jetzt steht das Monster in seiner Vielheit also vor den Toren Europas, mit traurigem Blick, hatte auch schon die Vorahnung, dass das erst der Anfang war, weil Keller ja doch eindeutig zu klein um ganz Europa in sich aufzunehmen. Tür auf, Europa rein, Tür zu. Aber nur richtiges Europa, damit die Tür noch zugeht. Macht die Grenzen dicht! Prunksaal, Prunkhaus, Prunkmauer, schön. Ja, eine Mauer, die einen erfundenen und erlogenen Weltkrieg überdauert hat, die hält jeder Lügenpresse stand, die gibt Raum für all das, was erfunden werden will: unendliche Möglichkeiten alter und neuer Geschichte. Aber bitte nur an richtiger alter und richtiger neuer Geschichte, damit die Tür noch zugeht. Was wird einst von Europa bleiben? Nur Ruinen und Geschichten eines untergegangenen Kontinents? Monster muckt auf: In Linz beginnt nicht also es, sondern er, der Untergang der Welt, weil Kontinent gleich Welt und Kopfgrenzen gleich Kontinent, das war ja einfach, ja, und der Angst genügend Platz einräumen für den großen Auftritt, die Meinungsfreiheit begrenzt zum Schutze der Angst (Selbstverteidigung ist die beste Verteidigung!), Platzverbote ausgesprochen, Redeverbote ausgedacht, Angst wagt sich vor, tapst heran, hat den ganzen Platz vor den Redoutensälen für sich, Angst und geladene Gäste, Angst und echter MenschMensch, Angst und noch mehr Angst, schön, Angst und Generalsekretär, Generalangst, Angst und Schwiegermutterlächeln, Angst und Querformate für Querdenker, Angst und schwere Formate für Intellektuelle oder andere Schwergewichte, Angst und Wirsindnochinnerhalbdesdemokratischenspektrumsangesiedeltauchwennjemanddasgegenteilbeweist, Angst und Horrorclowns, Angst und das eine Fernsehn (Servus!). Angst und Lenny Scheinbaum,2 kurzer Austausch, Umtausch, Angst im geblümten Hemd jetzt, weil wenn schon kein Schweißtuch zur Hand, dann tuts auch ein Schweißhemd, wobei der Kreuzweg hier ja ohnehin ein eher innerlicher Kreuzweg ist, denn der Feind nicht in Sicht, der Feind außer Sichtweite hinter den Barrikaden, Lügen nicht zugelassen. Selfie mit ausgehfertig angezogener Angst und nacktem Scheinbaum, denn wann, wenn nicht hier, wo man sich den Orden auch getrost gleich ehrlich und treu an die nackte Brust nageln kann, echte Männer sterben nicht ohne Narben (oder sterben vor den Narben, immerhin: Märtyrertod in Sicht — aber vorher) noch ein Selfie von den beiden, Angst und Scheinbaum, diesmal nicht für Privatgebrauch oder Autogrammstunde, sondern für die innerliche Pinnwand, die innerhalb der Saalwände befindliche Pinnwand, die schönen Erinnerungen werden dort zusammengetragen: Europa — wie Urlaub für immer und immer. Schön.

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Recherche 2. Urlaub für immer und immer. — Autorin

Das Monster steht also vor den Toren Europas, mit Blick auf die Parade, auf freie und bedeckte Körper, auf freie und bedeckte Gesinnungen, und die Tränen alle ausgeheult schon nachts so voller Sehnsucht nach dem VOLLKSkörper — oder voller Abscheu? Tiefe Gefühlsregungen sind, weil sie der Anzahl nach ja nicht so viele sind, manchmal schwer zu unterscheiden. Und daraus Kapital geschlagen: Phalanx Europa — Sonderangebot! Und Monster immer noch monströs im Zaun verheddert (Sonderangebot! Sonderangebot!), der, einmal abgefallen, von vorüberschreitenden Gästen postwendend lächelnd erneuert wird. Und Monster also immer noch vor den Toren Europas, an der Grenzlinie, vor dem Angstbereich, und Monsterrücken ungeduldig zuckend jetzt, und Monster ballt die Fäuste — so wie ich, den Monsterrücken klein im Sichtfeld, hier, vor den Toren von dem sogenannten Leben noch, als Schwiegermutter und - vaterschreck, zwischen den Bildern, die sich so oft wenden, dass da nur noch durchsteigt, nein, dass da nur noch drübersteht, wer sich in seiner Kletterzeugganzheit aufgerüstet hat, und die Unsportlichen, die Unwerten hinter die Grenze der Redezeit zurückverwiesen werden, um sich dort einen Standplatz einzurichten, besser wärs.

Wenn das Monster, denke ich, soweit ich das von meinem femininen Standplatz aus, der ja natürlich immer schon ein Liegeplatz gewesen ist und bleibt für alle Zeit in Ewigkeit, nicht wahr, wie ich das Denken also von meinem Liegeplatz aus halt eben kann, denke ich: Wenn das Monster Zutritt fände, wenn es so voller Lügen wäre, nein, weil es so voller Lügen ist, dass es im Lügenprunkschloss nicht auffiele, hinter seiner Maske aus Monster und mehr Monster, wenn das Monster also Zutritt fände, als Maske, als Bild, Monsterbildnis im Angebot - ja, was wird einst von Europa bleiben, nur Ruinen und Geschichten eines untergegangenen Kontinents oder die Geschichte der größten Rückeroberung aller Zeiten? Und während Selfies geschossen werden, weil nichts anderes geschossen werden kann, solange die Mauern nicht erreicht sind, die den rechtsfreien Raum markieren, während Selfies geschossen werden müssen als Vorgeschmack auf Prunk und Kongressprotz, als Zeichen einer neuen Zeit, während also Selfies geschossen werden, bis der Multikultimoment endlich kommt, um den roten Faden durchzusäbeln und den Kongress hiermit feierlich zu eröffnen, der Multikultimoment als Moment des sogenannten totalitären Systems, gegen das dieses VOLLKSeuropa nun verteidigt werden muss, damit es einen Grund gibt, warum man in diesem System nicht mehr leben will, der über bloße Befindlichkeit hinausgeht, damit es einen Grund gibt, die Faust zu ballen, der über bloße Muskelzuckungen hinausgeht, nein, damit es einen Grund gibt, die eigene Meinung offen aus sich raus zu sagen, der über bloße Idiotie hinausgeht — während also die Zeit überbrückt werden muss, bis der lebensrettende Multikultimoment endlich kommt, damit das Kartenhaus namens Festung Europa nicht höchst unaktionistisch durcheinandergewirbelt wird und während zu ebendieser Überbrückung leise Widerstand Widerstand gemurmelt wird, murmle auch ich leise mit und meine anders, ball die Faust und male ab, Monster von Monster, Maske von Maske und schick ins Spiel dann jetzt, weil ich das eben kann, irgendwas muss schließlich auch ich können, hier im Abseits, noch hinter der Sprache und hinterm Leben ohnehin, schicke das Burgfräulein ins Spiel, sorgsam abgepaust, abgenommen, oh, Mine abgebrochen — Miene verzogen, humpelt etwas, etwas deformiert, es tut mir leid, auf die Not der Zeit beruf ich mich, immerhin: Das Fräulein lebt, sabbert etwas, bewegt sich aber, rechtes Auge tränt, immerhin: Wer könnte diesen Tränen nicht vertrauen? Fräulein betritt den Angstbereich Europa, Fräulein und Generalsekretär, Fräulein wird vorgelassen, denn dieser Name öffnet alle Türen (darauf hätte ich, wir, darauf hätte man schon früher kommen können, denkt das Monster jetzt und drückt die Nasen (viele) platt an der Geschichte), Fräulein mit dem Quasiadelsnamen, leider keine Burgruine, alle bereits ausgebucht auf Jahre hin, aber noch eine andre Art Gebirg dann aufgetrieben, die auch besser passt, von wegen schürfen, Widerstand, geballte Faust etc., Geröllfräulein also - und dieses Geröllfräulein von Steinbruch also nun schon auf dem Weg ins Innere, in Prunk und Protz, ins rechte Herz, das Monsterbildnis in geballter Faust.

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Recherche 3. Im Hintergrund, unbeobachtet: Monster in the making — Autorin

Würde ich sagen, denken, wenn ich denken könnte, wenn ich sprechen könnte, aber was rede ich, was weiß denn ich, ich stehe ja noch weit hinter der Sprache und dem Sprechen ohnehin, mit meiner Monstermaske, winkend.

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5107558/Linz_Hassparolen-in-Prunksaelen
http://www.vice.com/alps/read/wir-haben-die-teilnehmer-des-kongress-der-verteidiger-europas-nach-ihrem-rechtsextremismus-faktor-sortiert
http://derstandard.at/2000046630000/Linzer-Rechtsextrementreffen-Sobotka-ruft-zur-Besonnenheit-auf
http://derstandard.at/2000046672817/Rechter-Kongress-startet-mit-Polizei-Grossaufgebot


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.