we don't forget you, empörungswütige, patriarchale beschleunigungsmaschinerie!

22. März 2017 — Queeres

[der text ist eine gemeinschafts- und ko-produktion von gerhild steinbuch & thomas köck feat. sandra gugic. viel vergnügen.]

auftritt von hinten herein: frau steinbüch und frauke köck in ranzigem rennaissance-trash: von motten zerfressene pluderhosen, um den hals rissige mühlsteinkragen; zwei abgeordnete des hauses, prekäre öffentlichkeitsarbeiterinnen, sie bewegen sich durchs publikum, sprechen die leute an, tanzen walzer, halten sich aber schön von der nach wie vor im dunkel liegenden bühne fern, wie vampire von der sonne das halt so machen. ein kamerateam begleitet und filmt sie. es erklingt: m.i.a. - bad girls.

frauke köck
andauernd fehlt einem heute die zeit, nicht dass man irgendetwas anderes hätte, GELD ZUM BEISPIEL, das wäre zumindest noch auszuhalten, WENN MAN KEINE ZEIT MEHR HAT, ABER DAFÜR GELD, DAS WÜRDE ICH NEHMEN, WIRKLICH, aber ich habe beides nicht und deshalb arbeite ich wie eine verrückte, um zumindest eines von beiden zu haben, aber am ende fehlt einem beides und man fragt sich, WAS ZUR HÖLLE HABE ICH MIT MEINEM LEBEN EIGENTLICH GEMACHT? geld auf jeden fall nicht. ABER GELEBT HABE ICH AUCH NICHT.

frau steinbüch
GANZ GENAU. WENN MAN WENIGSTENS EIN GELD HÄTTE, oder zumindest schicke kleidung, wenn man wenigstens eine geile wohnung hätte, ODER WENIGSTENS EIN LEBEN, oder ein auto, aber am ende hat man nichts und totgearbeitet hat man sich auch, nein im ernst, es fehlt heute an allem, vor allem an zeit.

frauke köck
man hat einfach keine zeit mehr, man ist nur noch auf durchreise, so wie wir hier, man kommt wo rein, sieht sich um, versucht herauszufinden, was geschieht, WAS IST DENN DIE LETZTEN ZEHN, ZWANZIG JAHRE EIGENTLICH PASSIERT, DASS SICH HEUTE ALLES SO ENDLOS WIEDERHOLT ANFÜHLT, und kaum hat man eine ahnung, EINE OFFEN GESAGT NUR SEHR SCHWACHE, da rauscht schon wieder so eine empörungswelle über einen hinweg und man weiß einfach nicht woher die schon wieder gekommen ist. MIR FEHLT HIER WIRKLICH IN LETZTER ZEIT DIE ZEIT.

frau steinbüch
nein im Ernst, MIR FEHLT WIRKLICH DIE ZEIT, immer fehlt mir die zeit, weil ich mich an und in der kulturlandschaft abrackere, die themenfelder abschreite, aber etwas muss raus, ICH HABE NULL ZEIT MICH MIT DER THEMATIK ZU BESCHÄFTIGEN, aber einfach in diesem speziellen fall, bitte falsch verstehen, etwas treibt mich gerade, nein, eigentlich immer, UND NEIN DANKE, ICH FINDE DIESEN TEXT NICHT DÜNN, und während ich den gedanken noch grob umreisse, kommt schon wieder eine email rein, es kann nicht sein, dass ich den augenblick verpasse.

frauke köck
man möchte ja zu dem augenblick immer irgendetwas sagen, etwas schönes, etwas kontemplatives, gerade möchte man zum beispiel sagen: hello österreich, du kulturbeflissenes landesdingsda. IS IT ME YOU ARE LOOKING FOR? heimat bist du großer – JA UND JETZT?

frau steinbüch
JETZT KOMMT HIER SCHON WIEDER EINE E-MAIL REIN

frauke köck
man möchte zu dem augenblick sagen: verweile doch.

frau steinbüch
NEIN, MÖCHTE MAN NICHT, SICHER NICHT.

frauke köck
man möchte zu dem augenblick sagen: denkst du jetzt, bloß weil du deine töchter in die hymne eingemeinden ließest unter viel geächz und stöhn, dass du deswegen wieder sein darfst, wie du gerne wärest, weil du dich niemals zusammenreißen gemusst hast, so nach allgemeinen menschlichkeitskriterien in deinem selbsterlogenen opferlammpelz?

frau steinbüch
man möchte zu dem augenblick sagen: diesem land, denkst du, österreicher mit dem weißen westerl, diesem land jedenfalls bitte den stolz, den es nicht verdient, nicht wahr, egal, also, stolz her, stolz her!, denkst du, rechtes pack, mit deinem heteronormativ aufgehübschten buberlgesicht, mit dem burgfräuleinantlitz, mit den spuren des kampfes auf den wangen, bist ein echter stolzer rechter menschmensch, nicht wahr, also denkst du (auch wenn du das nicht so gut kannst, egal, denkst trotzdem, irgendwas musst du ja machen): Jedem Land den antifeminismus, den es verdient.

frauke köck
aber man hat überhaupt keine zeit, um sich ausführlich mit dem augenblick zu unterhalten.

frau steinbüch
man kommt rein und denkt sich schon nur mehr noch: fuck off!

frauke köck
selber fuck off!

frau steinbüch
na nicht sie frauke köck!

frauke köck
wer dann?

frau steinbüch
ICH SCHREIE EINFACH SO IN DEN RAUM HIER HINEIN, DEN AUGENBLICK SCHREIE ICH AN: FUCK OFF!

frauke köck
JETZT KOMMT HIER SCHON WIEDER EINE EMAIL REIN und ich wollte gerade noch angemessen reagieren, aber keine zeit, FUCK! UFF!

frau steinbüch
FUCK! UFF! das ist ja das problem. um die probleme angemessen zu reagieren, bräuchte man zeit, aber kein mensch hat heute mehr zeit, um mal in ruhe die informationen, die andauernd durch den äther kommen angemessen zu überprüfen. ich meine, keiner glaubt, dass trump ernsthaft obama beschuldigt, irgendwen abgehört zu haben.

frauke köck
natürlich nicht, das ist eine diversion.

frau steinbüch
SAG ICH JA: FUCK OFF! dem gehts doch um was anderes.

frauke köck
genauso, wie es in wirklichkeit niemanden interessiert, ob öst. autorinnen in marokko urlaub machen.

frau steinbüch
das interessiert doch in wirklichkeit niemanden.

frauke köck
nein, aber die medien haben futter, die kommentarspalten sind erzürnt und keiner kriegt mit, was hinter der medialen firewall geschieht.

frau steinbüch
das klingt jetzt allerdings paranoid, frauke köck.

frauke köck
ja eben, und dann unterstellt man einem psychische unzurechnungsfähigkeit und hysterie. das kennt man als frau im kulturbetrieb ja zur genüge. vor allem im österreichischen. was man einem da nicht andauernd alles andauernd unterstellt, ach ich hab den kulturbetrieb so satt.

frau steinbüch
ich auch.

frauke köck
wirklich.

frau steinbüch
ja, wirklich.

frauke köck
FUCK! UFF! KULTURBETRIEB!

frau steinbüch
ich habs zum kotzen satt, so satt, das schulterklopfen alter österherren, vom kindergarten durch die pubertät bis jetzt hier rein in den kulturbetrieb. Ich hab es so so satt, das schulterklopfen und das wangenstreicheln alter österherren, die kleinhalten was ihnen über den kopf wächst (UND DAS IST NICHT SO WENIG), die ihre hände wie ihren anlasslosen hass verteilen und denen man dabei noch freundlich zunickt, zunicken sollte, zunicken muss.

frauke köck
ich meine alte österherren reimen dreck auf jelinek in ihrem auflagestärksten organ und werden noch beschulterklopft für ihren einwandfreien endreim vom klatschwilligen volk – aber wenn ich strache einen nazi nenne, ist das anmaßung statt literatur. LIEGTS AM REIMSCHEMA, ODER WAS?

frau steinbüch
ach was reimschema, wer kann denn in diesem betrieb überhaupt noch lesen, wer liest denn noch, man liest die empörungsthemen, die in wellen vorüberrauschen, HIER THE DONALD, DA, DIE GRAPSCHER, DORT DIE EBOLA, JE SUIS THIS, JE SUIS THAT, AND JE DON’T GIVE A FUCK.

pause. break. es erklingt oh bondage! up yours! von x-ray spex. alle tanzen für drei minuten. oh bondage! up yours! oh bondage! up yours! oh bondage! vielen dank.

frauke köck
aber ich meine apropos williges volk, entschuldigung, aber das thema, bleibt mir hängen, weil da stehen wir nun, jahrzehnte nach der hetzkampagne unserer stimmenstärksten partei gegen eine öst. schriftstellerin – ja, und was machen die jetzt? na, würde sagen, wir machen einfach da weiter, wo wir aufgehört haben.

frau steinbüch

die auflagenstärkste zeitung beschwört halt jetzt eine empörungswelle über die nächste generation öst. autorinnen, weil die nach marokko fahren. und eine woche später spricht keiner mehr darüber.

frauke köck
zwei wochen später.

frau steinbüch
ja oder zwei wochen später.

frauke köck
ICH KOMME EINFACH NICHT MEHR HINTERHER. WAS BLEIBT DAVON JETZT EIGENTLICH ÜBRIG? VERBRANNTE HASSKOMMENTARSPALTEN?

frau steinbüch
es bleibt übrig, dass frauen nicht alleine nach marokko fliegen sollen, auch wenn der staat das mit sicherheitszuschuss unterstützt.

frauke köck
na eben, die waren doch nicht alleine in marokko, die haben doch geld vom staat bekommen, damit die dort auf sich aufpassen, wieso flippen die denn alle aus, dürfen frauen nicht alleine nach marokko und urlaub machen?

frau steinbüch
der staat gibt doch eh schon soviel geld für nordafrika aus, denkt sich wahrscheinlich der versierte hasskommentarspaltenleser.

frauke köck
hätte man die öst. autorinnen unterstützt um zum beispiel nach paris zu fliegen, was hätten die sagen sollen, die hasskommentarspaltenleser? FINGER WEG VON HEISSEN CROISSANTS UND SCHICKTS HALT EIN SELFIE MIT DER MARINE oder ACHJA, PARIS, DIE CHAMPS D'INGSSEE UND DER EIFFELTURM. aber wenn die nach nordafrika fliegen, da drehen alle durch.

frau steinbüch
ICH VERSTEHE IMMER NOCH NICHT, WARUM VOR EINER WOCHE ALLE AUSGEFLIPPT SIND.

frauke köck
VOR ZWEI WOCHEN.

frau steinbüch
dann halt VOR ZWEI WOCHEN. ICH KOMME SOWIESO NICHT MEHR HINTERHER.

frauke köck
da gings doch nie um den urlaub, da gings doch andauernd nur um den scheißball.

frau steinbüch
welcher scheißball? ICH KOMME EINFACH NICHT MEHR HINTERHER.

frauke köck
oder darum, dass die halt mit goldketten durch marokko tigern, ABER ICH MEINE DAZU FÄHRT MAN JA AUF URLAUB, UM MIT GOLDKETTEN ABZUHÄNGEN, DIE SAU RAUSZULASSEN, UND WEISSWEIN AUF DER VERANDA ZU TRINKEN.

frau steinbüch
ich war schon so lange nicht mehr auf urlaub, ich mache das eigentlich jeden abend. mein leben ist der reinste dauerurlaub. ABER ICH KOMME EINFACH NICHT MEHR HINTERHER.

frauke köck
also es ging darum, zu sagen, wenn frauen auf urlaub fahren, sollen sie nicht mit goldketten durch die wüste spazieren oder auf kamelen reiten, sondern fotos im bikini am strand posten, DIE DIE AUFLAGENSTÄRKSTE ZEITUNG DANN BITTE DRUCKEN KANN.

frau steinbüch
und dazu hat sich die auflagenstärkste zeitung in ihren auflagenstärksten kommentarspalten hinreißen lassen?

frauke köck
ich meine FUCK OFF AUFLAGENSTÄRKSTE ZEITUNG.

frau steinbüch
aber das ist ja schon wieder passé jetzt.

frauke köck
ICH KOMME EINFACH NICHT MEHR HINTERHER. was haben wir jetzt davon gelernt. wird da jemand entlassen jetzt? gibt es da in den redaktionen ärger? ODER SIND EMPÖRUNGSWÜTIGE KLICKHASSPOSTER EH SCHON DAS GEBUCHTE ABO DER ZUKUNFT?

frau steinbüch
ich weiß nicht, ICH KOMME NÄMLICH AUCH NICHT MEHR HINTERHER, so läuft das heute mit den kommentarspalten, man scrollt und klickt und liest und kommt nicht hinterher, alles was man tun kann: GIB DEN HASSPOSTERN ZUCKER.

frauke köck
das ist ein wirklich williges volk, ein willig treues volk, das seinen anlasslosen hass einfach so wieder ausgraben kann und der nächsten öst. autorin ins gesicht schmeißen kann.

frau steinbüch
und alle tragen es mit, schnell freuen sich alle über den shitstorm, alle haben was zu sagen, alle sind für zwei sekunden informiert, WAS MACHEN DIE DENN DEN GANZEN TAG, ICH KOMME MIT DEM LESEN NICHT HINTERHER, UND JETZT BIN ICH ZWEI WOCHEN ZU SPÄT.

frauke köck
RESPEKT WIE SCHNELL GEGRABEN WIRD.

frau steinbüch
ja, sportlich, sind hier immer schon alle gewesen. körper! ertüchtigung! austrofaschismus! wie man dinge zusammendenkt ist schließlich eine frage des betrachters.

frauke köck
und der betrachter hier ist meistens ja auf mindestens zwei augen blind.

frau steinbüch
worauf wollen sie hinaus?

frauke köck
darauf wo seit kurzem wieder alle hinauswollen, auf das volk, ABER ICH KOMME IN DER LETZTEN ZEIT EINFACH NICHT MEHR HINTERHER.

frau steinbüch
aber das volk, aber da steht es jetzt, nein, da liegt es, nein, liest es, steht nicht, aber steht hernach dann auf, um in die tasten zu hauen, irgendwas muss es schließlich machen, wenn es willig ist, irgendwas zu machen, zu irgendwas gemacht zu werden, wobei, gemacht werden hier ja immer nur die frauen, willig zum beispiel, na, wenn das volk willig ist, willig alles zu glauben, was in den auflagenstärksten kommentarspalten steht, dann darf die frau auch willig sein, muss sie auch, damit wir mit unserem hass über sie hereinbrechen können.

frauke köck
hallo liebe auflagenstärkste zeitung mit deinen auflagenstärksten hasskommentarspalten und deiner empörungsgier, wir lernen, so ist das am ende, man beschwört einen shitstorm und hat den kommentarspaltendurchfall auf der eigenen timeline.

frau steinbüch
wenn die anonymen tastenhauer uns eines lehren, dann dass österreich den antifeminismus ganz genau so hochhält wie diverse andere kranzniederlegungen (aufs herrenhaupt hier, am heldengrabe dort), und wenn es uns das dann noch was lehrt, dann vielleicht, diesen sachverhalt nicht hin- sondern zur abwechslung mal ernstzunehmen. das tägliche handeln von leuten, deren handlungsintention allgemein dem denken, dem vorhandensein von argumenten, sinnzusammenhängen diametral gegenübersteht.

frauke köck
jede*r hat ein recht auf ein hassobjekt. treten Sie unauffällig vor. werfen Sie das erste hassposting aus ihrem mikrokosmos in die unendlichen weiten des ehschonwissen die vielleicht lichtjahre überwinden und auf einem anderen planeten eine vibration hervorrufen die ungefähr so klingt EEEEEWWWW.

frau steinbüch
je suis ein minderwertiges mitglied eures rotweißroten männerbundes, ABER IHR KRIEGT MICH TROTZDEM NICHT.

frauke köck
worauf wollen wir hinaus?

frau steinbüch
auf den nächsten ball, auf dem rechtswalzer getanzt wird. ICH HAB SO LUST AUF INTERVENTION. schließlich kann man nicht das ganze feld situationistischer praktiken dem sellner martin überlassen, auch wenn er so schön schwiegermuttergeil schaut.

frauke köck
naja, aber dass dem österreicher ja die frau seit jeher schon suspekt, das sollte dich, nein mich, nein uns, das sollte hier doch keinen mehr erregen, so als faktum, oder nicht?

frau steinbüch
doch. doch. doch. doch. doch.

ende. vielen dank. es erklingt morrissey - world peace in none of your business. konfettiregen. echter regen. irgendwo im bühnenhimmel ein langer, schmerzhafter schrei. exit steinbüch, exit köck.


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.