14. September 2016 — Demagogie

Was is er denn
Was hat er denn
Was kann er denn
Was red't er denn
Wer glaubt er, dass er is?— Falco

Wir befinden uns hier, also mittendrin, wo sich die Wörter verkehren und kippen, wo ein Wir gegen das Andere anschreit. Versuch eins: Eine Linie ziehen, weil: bis hierhin aber nicht weiter, im Schreiben versuchen, die gekippten Wörter (und Welten) in eine Ordnung zu bringen, ein erstes Wider/Wort finden, die Echos und Stimmen bündeln. Alles, was wir sagen werden, hat jemand anderer schon gesagt, alles wurde schon erzählt, aber noch nicht von allen (1). Es ist wahr, wir haben keine Chance. Oder? Gibt es ein richtiges Schreiben im falschen?

Obacht, Video läuft: Der Verband der Gekränkten zeigt ein Best-of, ein Hoch auf sechzig Jahre soziale Heimatpartei in einer Produktion von FPÖ-TV im Auftrag des FPÖ-Bildungsinstituts. Wir sehen: In österreichischem Sonnenschein schaukelnde Kinder; Frau im Dirndl quert wogendes Weizenfeld; dankbar lächelnde, wissend nickende Dame der älteren Generation; Jörg Haider im Miami-Vice-weißen Anzug schreitet über eine grüne Wiese; HC Strache in Siegerposen-Endlosschleife, weil, langer Rede kurzer Sinn: Deine Heimat braucht dich jetzt!
Nicht im Bild (ein Hoch auf sechzig Jahre soziale Heimatpartei!): Machen Sie eine typische Handbewegung: Strache bestellt drei Bier; Lichtermeerflimmern aka Österreich zuerst aka Ausländervolksbegehren erhält ein Zustimmungshoch von 7,35 Prozent; Haiders EU-Paranoia aka TV-Highlight Blutschokoladentaferl; Malen-nach-Zahlen sprich Schwarz-Blau Koalitions-Umfärberei in Schwarz-Orange sprich RIP Bündnis Zukunft Österreich; im Zweifel für die Angeklagten sprich Meischberger sprich BUWOG sprich Grasser; Unendlicher Spaß aka Hypo-Alpe-Adria-Finanzskandal; Rhetorikhighlights wie Daham-statt-Islam; FPÖ-Sachen-zum-Lachen sprich eine Karikatur in der FPÖ-Postille Zur Zeit mit dem Titel Kristallnacht 2014, in diesem Sinne: Eine Runde Eiernockerl mit grünem Salat für alle!

Wir sind das Volk und wir auch und wir auch und Wer seid ihr?

Es geht hier nicht darum Inhalte zu verhandeln, sondern darum, Markenkerne an die allgemeine Unzufriedenheit anzupassen, Zitatanfang: Die Flüchtlinge waren ein Glücksfall für uns :Zitatende, so der Neigungsgruppenkollege von der AfD. Jetzt muss sich bald keiner mehr von den rechten Scharfmachern distanzieren, und egal, was wir jetzt sagen, wir werden gewählt, Hurra!
Die Geschichte wiederholt sich, aber keiner will sich erinnern, es wird gesagt, wir leben in einer Desinformationsgesellschaft, es wird gesagt, dass die Geschichte der Information die Geschichte des Nervenkitzels und der Clickbait-Vergleichgültigung ist, begleitet vom Flimmern und Rauschen der Informationskanäle, an dieser Stelle beginnt der Informationskrieg, und ja, die Lösungen lassen auf sich warten, die Lösungen werden nicht einfacher, während wir auf den Ameisenstraßen unseres Hirns Informationen zusammentragen und auswerten, es ist richtig, nichts ist erledigt, ich bin da ganz bei Ihnen.

Sagen Sie, würden Sie dieses Projekt als schwarmintelligentes Abarbeiten an untragbaren gegenwärtigen Entwicklungen bezeichnen? Also Poesie gegen Rechts, oder was?

Beziehungsweise ist es nicht eigentlich ganz einfach so: Wir befinden uns hier, wir kommen woher, wir beziehen uns auf was, wir haben uns das Wort erteilt, wir schallen aus dem Wald heraus, in Vakanzen, Echo- und Streiträume hinein, wir nisten uns in den Kommunikationskanälen ein, denn steter Tropfen höhlt ja bekanntlich, Genau! An dieser Stelle verlassen wir den hegemonialen Raum, Eltern haften für ihre Kinder und vice versa, auch wenn die Tür klemmt und das Fenster weder Läden noch Tassen hat. Horch, was kommt von draußen rein?: Wir sind das Volk und wir auch und wir auch und Wer seid ihr?

Wo und wann wurden Sie geboren?
Welchen Platz in der Welt durften Sie einnehmen?
Sagen Sie, liegt die Mitte jetzt rechts? Wer sind die Anderen? Wer hat das Monopol aufs Wir? Was begrenzt unseren Denk-, Lebens-, und Erfahrungshorizont und: Wie kommen wir da raus?

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Augarten, Wien, 2010 — Sandra Gugić

So schnell kannst gar nicht schauen, wird die kleinste gemeinsame Einheit, die einfachste Lösung, weiter geschrumpft auf Heimatpostkartengröße: In diesem Bild stimmt alles, so viel schön, da ist kein Haus höher als der Kirchturm gegen den photoshopblauen Himmel, finden Sie den Fehler, schälen sich da Wahlplakate von den Wänden wie Menschenhaut, sind wir heute hier zusammengekommen um im Namen des Vaters, des Sohnes und unserer Besorgnis, ja, es braucht viel Heimat, mehr als gedacht, und die reicht nicht für alle, erst recht nicht für die Zuspätgekommenen, diese Überraschungsgäste, die gekommen sind, um zu bleiben, wissen Sie, Wir haben unsere eigenen Probleme und Wir waren schon immer hier, und wenn einer an diesen unseren Problemen schuld ist, dann ganz bestimmt die, die eben erst angekommen sind, diese fluchtbewegungstechnisch Eingeschränkten, die wir nicht mehr loswerden könnendürfen, die sollen sich wenigstens bitte ruhig verhalten, unauffällig, möglichst europäisch oder so, wie wir uns Europa eben vorstellen, aber deren Geister- und Gruselgeschichten können diese fluchtbewegungstechnisch Eingeschränkten für sich behalten, unsere Gefühle hingegen sind ganz natürlich, unsere Angst ist wichtiger als eure, das ist das Natürlichste vom Natürlichen: der Heimatreflex, mit dem Hämmerchen aufs Knie, na, tut sich da noch was, hier vielleicht, Indifferentialschmerz, und hier und hier, überall tut es weh, auch am Ende des Gedankengangs, da liegt der Stammtisch, hier darf man mit Schlagwörtern nach einander werfen, hier darf man noch mit der Faust auf den Tisch, es ist immer die Faust, die fällt oder hochgehalten wird, es braucht viel Heimat, es braucht eine ganze Welt von Beheimateten, an allen Ecken fransen wir aus, zwischen Hipsteria und Hysteria, zwischen Wahrheitsanspruch und Identitätsfrage, zwischen Unterhaltungserwartung und Inszenierungsverdacht bekennen wir uns nicht schuldig in Sinne der: Genau!, Drah di net um, schauschau der große Austausch geht um und vor uns ausgebreitet: Ein schillerndes Patchwork der Paradoxien und Versprechungen, Hauptsache: Wir waren immer schon hier: Wir haben das Patent auf das Wort ANGST in die ganze Welt verkauft.
Wir haben dieses Wort und noch eins, und viel mehr als das: eine ganze Sprache, bis an die Zähne bewaffnet mit Einsprüchen, Wörterbüchern, Wertekanons, Kampfvokabeln, Halbwahrheiten, schlechten Witzen, Drohbriefen, Wortlauten, Katzen, Bibelsprüchen, Auswürfen, Traditionalismen, Plagiaten, Autorisationen, Hetzparolen, Notationen, Quotationen, Faxen, Nationalismen, Untergriffen, Fremdwörtern, Übergriffen, Leerstellen, Widersprüchen, wirklichen Wirklichkeiten, Behauptungen, No- und Neologismen, Hierarchien, Baumschatten, Inszenierungen, Schwachstellen, Demarkationslinien, Essiggurkerln, Political Correctness, Sauschädeln, Gekränktheiten, Übertretungen, Selbsthilfegruppen, Hilflosigkeiten, Moralismen, falschen Freunden, Shitstorms, Gleichgültigkeits-Schutzfiltern, nach Belieben dunkeldeutsch gefärbt oder neurolinguistisch programmiert, je nachdem, wer warum zu wem spricht, drehen und wenden wir das Wort, weil es unser ist. Weil:
Wir sind das Volk und wir auch und wir auch und Wer seid ihr?

Wo und wann wurden Sie geboren?
Welchen Platz in der Welt durften Sie einnehmen?
Wer hat das Monopol auf Wir und Wahrheit?
Was spiegelt die Befindlichkeit der Gesellschaft und wie kommen wir da (ohne Heil) raus?

Wir befinden uns hier, also mittendrin, wo sich die Wörter verkehren und kippen, wo ein Wir gegen das Andere anschreit, ziehen wir eine Linie zwischen dem Einen und dem Anderen, erheben wir Einspruch, bis hierhin, und nicht weiter. Im Übrigen sind wir der Meinung: Redundanzen tanzen nicht, Allianzen schon. Alles, was wir sagen werden, hat jemand anderer schon gesagt, alles wurde schon erzählt, aber nicht von jedem1. Ist es wahr, haben wir keine Chance? Gibt es ein richtiges Schreiben im falschen? Weiter!


  1. Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von allen – Karl Valentin 


Sandra Gugić — geboren 1976 in Wien. Studium an der Universität für Angewandte Kunst Wien und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen (Prosa, Lyrik, Essays) in Zeitschriften und Anthologien, Arbeiten für Theater und Film. 2016 erhielt sie den Reinhard-Priessnitz-Preis für ihren ersten Roman Astronauten (C.H.Beck, 2015). Im Frühjahr 2019 erscheint ihr Lyrikdebüt Protokolle der Gegenwart im Verlagshaus Berlin.

→ http://sandragugic.com/