24. Oktober 2018 — Rechtsterror

Klaus Theweleit sagt: Es ist das Generalabzeichen aller derartigen Organisationen: dass sie kein Recht oder Gesetz außerhalb ihrer eigenen Rechtssetzung anerkennen; ohne Gerichte, ohne Beschlüsse; töten aus der Übergesetzlichkeit der eigenen Organisation. Dieses Tötungsrecht kann jedes Mitglied für sich in Anspruch nehmen.

Der Killer grinst.

WOLF #1

Wo fange ich an
Wo höre ich auf
Wo höre ich auf
Wo höre ich auf
Wo höre ich auf
Wie höre ich auf

Bevor wir mit dem Aufhören anfangen noch ein paar Bilder aus dem echten Leben vorne weg

Draußen zieht ein Wolf vorbei

Das weiße Fensterzimmer
wo das Licht noch bisschen reinfällt das diese Geschichte so schön anstrahlt
Dort wo einmal die Bilder waren die erinnern
die bloß leider alle abgebrannt sind irgendwie
Das war ja einfach
Wo einmal die Bilder waren sitzen wir und schaun wir schauen uns das sogenannte echte Leben an aus sicherer Entfernung
Und das echte Sterben
Ja das auch
Und das echte Sterbenlassen
Ja das auch das ganz bestimmt auch

Dort wo die Bilder einmal waren die erinnern wo jetzt nur noch weißer Rand
sitzen wir und schauen
Draußen zieht ein Wolf vorbei
Der Wolf ist ein Held und der Held ist ein prächtiger Fetisch
Der Held lächelt lacht und tobt sich aus
Der Held ist tot lang lebe der Held
Es ziehen Wölfe um die Stadt sie halten hoch ihr Konterfei
Denn es sind schließlich ein paar Jahre vergangen seit dem ersten Weihnachtsliedersingen
Und seit dem letzten großen Austausch ein paar Tage erst
Seit der letzten missverstandnen Jagdgesellschaft seit der Einladung zum völkischen Spaziergang
Geschichte wiederholt sich schließlich immer und wenn nicht wird sie zur Wiederholung angetrieben
Das war ja einfach

Die Wölfe ziehen durch die Landschaft
Die Landschaft ist kontaminiert von allem was Angst macht
Und was Angst macht muss erobert werden

Aus einem weißen Raum heraus
der ziemlich groß ist
der uns unsre Stadt ist
und auf den manchmal was abstrahlt noch aus diesem Außen
Schaun wir durch Lücken dieser unserer Erzählung
Sitzen da und schaun der Wolf schaut zurück

Wie du riechst erinnert mich an früher aber ich kann mich nicht erinnern dran was früher war

Egal
Die Stadt ist leicht brennbar wie wir
Wir klappen die Kartonwände hoch
Sicher ist sicher

WOLF #2

Wer überleben will der schläft

Aufs Dach

vom Dach

die Aussicht

aufs Dach von dem die Aussicht auf die eine Welt auf eine Welt die immer schön ist
in eine Welt die immer Schlaf ist
Klappen die Kulissen hoch
Sicher ist sicher

Und das ist die Geschichte

Man schläft oder schläft nicht

Man schlägt nicht oder man schläft nicht

Man schlägt oder man schläft

Man schlägt oder man lebt nicht

Man hält aus oder man hält nicht aus

Man schlägt oder man hält nicht aus

Man schläft oder man fällt also hält man aus

Morgens wird die Stadt hochgeklappt
Die Klammern in der Mundhöhle fixiert
Jetzt lächelt der Mensch
Sicher ist sicher
Er lächelt beim Aufstehn und beim Zubettgehn
Er lächelt morgens und abends
Er lächelt Sommer Winter Frühling Herbst
Er lächelt beim einsamen Treffen mit Bekannten
Er lächelt beim Hoffen und beim Wagen
Er lächelt beim Lieben und beim Schlagen
Er lächelt mit rosigen Wangen und blauen Augen
Er lächelt mit grünen Wangenknochen und Augen

Jetzt wird gelächelt

Die Landschaft ist kontaminiert von allem was Angst macht
Und was Angst macht muss erobert werden
Lächle und die Welt lacht mit dir

Egal

Wo einmal die Bilder waren die erinnern
ist der weiße Raum jetzt ziemlich groß
Lächle und die Landschaft lacht mit dir
Die Landschaft wird von denen schöpferisch gestaltet die sie auch gestalten können und behaust von denen die zur Umgestaltung aufgefordert sind die dazu aufgefordert werden die jetzt wieder dazu aufgefordert werden müssen die jetzt umgestaltet werden
Die Landschaft ist kontaminiert von allem was Angst macht
Und was Angst macht muss erobert werden
Sicher ist sicher

Lache und die Landschaft lacht mit dir die
erinnert sich nicht da erinnert sich keiner
Wer was sagt wird umgegraben
Das muss dann wohl die Nächstenliebe sein von der die alle immer reden

WOLF # 3

Das ist der Anfang:
Da wohnt was zwischen den Gebäuden in den Wänden unter der Stadt eine andre Stadt
Das Geräusch kennst du wenn du als Kind das Ohr an die Fußbodenbalken legst
wenn du untertauchst im Hallenbad
wenn du dich umdrehst im Hausflur
wenn du in den Spiegel schaust an die Tapete
starrt dir was entgegen

Da wächst was unter der Stadt
Es schiebt sich durch die Gassen in die Körper
mit Wolfsaugen schaut es dir entgegen wenn du in den Spiegel starrst
mit Wolfsarmen und -beinen greift es nach dir und nimmt dich an der Hand das packt ordentlich zu
mit Wolfsfäusten und -tritten bringt es dich in Form
Aus dem Maul klingt es wenn du Luft holst wenn du innehältst
Das ist das was du atmen hörst wenn du dir nicht mehr sicher bist ob du -

Da ist eine zweite Welt in der Stadtwelt die der die einmal war so täuschend ähnelt dass du jetzt nicht mehr weißt was echt ist und was nicht
Mit Kopieaugen schaust du dir zu beim ewigen Vorwärts
Mit Kopiearmen und -beinen hältst du dich fest am Nebenmensch bringst ihn in Form
und sicheren Blickes schaust um dich das Wolfsgesicht starrt zurück schiebt sich die Straße lang neben dir das will durch jede Pore kämpfst du dagegen an die Klammern ziehst du fest jetzt
lächelt der Mensch
Schön

WOLF #4

Die Wölfe kommen aus dem Wald. Da kommen sie jetzt immer her. Braune Wölfe, graue Wölfe, weiße. Ja, vor allem die. Der Wald ist ein schöner, sicherer Ort, in dem alles Platz findet, was sonst keinen Platz findet in der Geschichte. In den Geschichten. Na, irgendwoher müssen die ja schließlich kommen, wenn die nicht aus unserer Mitte kommen.

Draußen zieht ein Wolf vorbei
Der hat ziemlich was zu reden
Viel zu sagen hat er nicht
Der Wolf hält die Landschaft aus Pappe hoch als Beschwerdemitteilung
Der Wolf sagt
Das ist unsre Stadt
In den nationalbefreiten Zonen in denen wir seit langem wohnen
Schnurrt so einiges ab
Wieviel Jahre sind vergangen seit wir angefangen haben mit dem Wir- statt Jasagen welches Jahr ist dieses Mal -
Egal
Geschichte wiederholt sich schließlich immer oder wird zur Wiederholung angetrieben
Das war ja einfach
Kopien für alle patriotischen Zentren
Mutig entschlossen in Farbe und bunt
Die Heldenbilder angeworfen oder abgeworfen auf die Bilder von der Welt
Aber wenn die stolze Farbe einmal draufläuft wenn die abfärbt dann sieht schließlich alles besser aus
Wenn die aufläuft einen Abdruck hinterlässt als großen Eindruck
Der Täter ist Privatstaat und wer die Staatenexistenz bedroht der ist ein Hochverräter war schon immer so

Na das sind aber so einige
Egal
Wir sind viele aber Mehrheit sind wir leider keine

Der Täter lächelt lacht und tobt sich aus
Der Täter ist tot lang lebe der Held

Der Held tobt sich aus, jetzt wird gestorben, jetzt wird getrauert, denn jeder Tod ist ein sicherer Heldenanlass, und jeder Held ein sicherer Grund zu trauern. Um die Lage der Nation? Ja, das auch. Und um die Außengrenzen der Nation? Ja, das auch. Und um die Narration dieser Nation? Ja, das auch, das vielleicht auch, aber davon wird hier nicht geredet, dazu wird hier nicht gehetzt, egal, obwohl der Geschichte trotzdem langsam die Luft ausgeht.

WOLF #5

Wenn mir dann wieder mal die Luft ausgeht oder: wenn ich nichts zu sagen habe oder: meistens irgendwie auch beides tja da geh ich in den Wald

Ich leg mich ins Unterholz
Ich denk an unsren Abstand
Ich denk an meinen Anstand
Ich denk an meinen Impfpass
Ich tapp ein paar Runden
Und das ist der Wald
Im Wald ist kein Wolf
Im Wald ist es nichtmal besonders dunkel
Ich geh nachhaus
Lauf den Umweg über die Bucht mit den besseren Menschen
Ich schau in die besonders hohen Fenster
Ich pfeif den Trauermarsch fürs ungelebte Wolfsleben
Daheim leg ich mich viel zu früh ins Bett
Ich beobachte den Katastrophenzustand der inneren und äußeren Welt
Ich mümmel mich ins Wattehäuslein
Das Wattehäuslein zwickt an Armen und Beinen

Ich denk kurz dass aus unsrem Fremdsein miteinander sowas wie ein neuer Anfang aber dann
Denk ich dass ich dir das ja ohnehin nicht sagen kann

Jetzt ruft Europa an
Aber ich bin leider schwer beschäftigt

WOLF #6

Im weißen Fensterzimmer
wo das Licht noch bisschen reinfällt das diese Geschichte so schön anstrahlt
sitzen wir und schaun wir schauen uns das sogenannte echte Sterben an aus sicherer Entfernung
Dort wo einmal die Bilder waren
die bloß leider alle abgebrannt sind irgendwie
Dort wo die Bilder einmal waren die erinnern legen wir ein neues Bild ein jetzt
Eine Geschichte die wir zwischen uns stelln unsre Wattewelt
Der Held / ist tot lang lebe der Held
Und auch damit der Wald zu einem Auftritt kommt
Damit er gut bevölkert wird
Damit das Volk zu seinem Auftritt kommt bei dem es nicht so schreien muss
Schalten wir live
Ein Mensch ist tot
Lang lebe der Held
Und wer ein Held ist muss auch ordentlich begraben werden
Nein,wer ein Held sein soll der muss erst ordentlich gestorben werden
Die Bäume stehen stumm
Sonst bleibt ihnen nichts übrig
Schalten wir live
Wir die wir weinen beim Anblick der Wälder
Wir die wir dastehen live und auf Abstand
Wir mit Blick auf den sterbenden Held in seiner kleinen Heldenwelt
Die Heldenwelt ist ein Kasten aus Glas auf einer Lichtung im Wald
Wir die wir dastehen Kopfbilder Fotos auf Abstand

Jetzt kommen die Wölfe. Der Wald füllt sich. Wölfe als bessere Tischgesellschaft. Wölfe mit Fahnen und Heldenverständnis. Winken einander zu. Haben Picknickdecken mitgebracht. Klappen den Wald ein. Drunter die Pappe von früher. Ein großes Picknick. Helden werden aus den Geschichten geboren. Mutig, entschlossen, in Farbe und bunt. Wir stellen die Helden zwischen uns. Stellen sie zwischen uns damit alle anderen sterben. Alle anderen sterben. Das war ja einfach. Wir halten die Helden aus Pappe hoch, den Stadtwald, halten die Angst aus Pappe hoch.

Im weißen Fensterzimmer
wo das Licht noch bisschen reinfällt das diese Geschichte so schön anstrahlt
sitz ich und schau mir alles an aus sicherer Entfernung

Bild franst an den Rändern
Schnee fällt
Am Ende fällt ja immer Schnee
Eine Sicherheit die ist schon was Schönes
Der Schnee riecht nach Popcorn
Pappt sich fest
Ich trage meine Schneeverkleidung stolz in der mich jeder Mensch erkennt

Wie höre ich auf
Wie höre ich auf
Wie höre ich mit diesem Zwischenzustand auf

Bevor mit dem Aufhören anfangen hier noch ein andrer Anfang vorne weg:

Hallo du. Ich begehre dich. Irgendeine Geschichte muss man schließlich neu erzählen, wenn man die alte nicht mehr aushält, weil sie wirklich allem standhält. Irgendwann muss man schließlich neu erzählen, damit was Neues beginnt. Vielleicht so: Eine Geschichte mit so vielen Lücken, wie wir uns fremd sind und bleiben. In diesem weißen Raum, der ziemlich groß ist, und auf den manchmal was abstrahlt noch aus diesem Außen, halt ich noch eine Weile aus dann geh ich raus. Steig über die Pappe, lauf alleine nichts passiert, dann bin ich müd, und was mir aus dem Spiegel morgens dann entgegenschaut aus allen glatten Oberflächen das ist keine Wolfsgrimasse, das ist bloß mein eignes Gesicht. Viel ist das nicht. Und das ist die Geschichte: Die Landschaft ist kontaminiert von allem was Angst macht, und Landschaft ist auch so ein Wort, das ja bloß Angst macht. Mit ziemlich leichten Beinen lauf ich rum.


Gerhild Steinbuch — geboren 1983 in Mödling (Österreich), lebt in Berlin. Studium Szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der HfS Ernst Busch, Berlin. Arbeitet sowohl allein an Essays, Prosa und Theatertexten als auch im Kollektiv Freundliche Mitte, sowie als freie Dramaturgin.