Zwei Gedanken zu Pasolini, einer zu Kafka

Ein Gastbeitrag von Marko Dinić
22. Februar 2017 — Demokratisierung

I
Gleichzeitig wird aber hinter dem Rücken aller Beteiligten die „wahre“ humanistische Tradition (nicht jene falsche der Ministerien, der Akademien, der Justiz und der Schulen) zerstört von der neuen Massenkultur und dem von der Technologie geschaffenen – und perspektivisch auf die Jahrhunderte ausgerichteten – neuen Verhältnis zwischen Produkt und Konsum.
Pier Paolo Pasolini

Es ist wahrlich ein eigentümlicher Apparat, der einem entgegentritt, und das, wovor man heute in ganzer Ab- und Aufgeklärtheit so angewidert zurückschreckt, mag es sich dabei um Pegida, die Identitären, AfD oder FPÖ handeln, ist das Resultat dessen, was Pasolini so treffend als „anthropologische Mutation“ bezeichnete, einer Gleichschaltung, die mit der Digitalisierung des Kapitalismus – in dem alles zu einem bloßen Vorhandensein verkommt – einen derartigen Schub bekam, dass es sogar den italienischen Regisseur und Dichter vom Hocker gehauen hätte. Diese sogenannte Gleichschaltung reduziert sich nicht mehr nur auf die Unmöglichkeit einer Unterscheidung zwischen fast banalen Kategorien wie Rechts oder Links. Sie ist das Resultat eines alles bestimmenden Marktes, der die Sprache des Individuums auf Halbsätze und Floskeln runtergebrochen hat. Die damit einhergehende Reizüberflutung lässt sogar rationale und eher nüchterne Gemüter nicht mehr kalt. Dass die Medien hierbei eine Schlüsselrolle übernehmen, ist nicht von der Hand zu weisen, zumal der Sensationsdrang auch eine Leser_innenschaft garantiert. Analogien hierfür lassen sich von der Jahrhundertwende bis heute ziehen. Die Sensation als Vorbotin einer Verrohung unserer Diskurslandschaft – vielleicht könnte man das so festhalten. Dass jemand wie Heinz Christian Strache, Marine Le Pen oder Geert Wilders heute weniger Politiker_innen als vielmehr „Medienstars“ im negativen Sinne sind, ist auch jener Sensationsgeilheit zu verdanken, die einen grünen, eher konservativen Alexander van der Bellen oder einen höchstens linksliberalen Bernie Sanders in Linksextreme verwandelt (Da fragt man sich, wer in den ganzen sozialen Zentren und besetzten Häusern rund um den Globus sitzt). Dabei streuen die Rechten dieses Narrativ, die Medien klauben es lediglich auf. So wurde in kürzester Zeit eine Geschichte gezaubert, die dem sogenannten „linken Mainstream“ jegliche Schuld (wofür auch immer) in die Schuhe zu schieben versucht, auch wenn es sich bei diesem linken Mainstream um eine maßlose, elitäre Mitte handelt, welche sich des linken Jargons nur bedient, um ihn ganz schnell wieder unter den Tisch zu kehren, falls es mit den Wähler_innenstimmen doch nicht so klappt, wie man will. Anbiederungspolitik nennt man so etwas. Währenddessen grinsen Strache und sein neuer Kumpel Sellner wie zwei Debile in die Kameras und lassen sich feiern, als hätten sie das nationalistische Rad neu erfunden. Rechte Internationale? Von wegen! Ob sie dabei irgendwelche „Werte“ vertreten ist drittrangig. Sie sind präsent, und das genügt ihnen. Für keine Bloßstellung sind sie sich zu schade, keine Gelegenheit medialer Inszenierung lassen sie aus. Und sie erreichen damit, was sie wollen. Sellner ist seit neuestem gern gesehener Gast und „Experte“ (Wofür eigentlich? Kinder mit Kunstblut bespritzen?) in Talkshows, Strache, Le Pen und Co. können sich angesichts ihrer Umfragewerte genüsslich auf den Wanst schlagen. Und von der vermeintlich sicheren Seite glotzen die Menschen verdutzt wie Schafe und fragen sich in all ihrer Unsicherheit, wie das hätte passieren können. Waren wir nicht die Guten?
Im Hinblick auf Pasolinis „anthropologische Mutation“ bedeutet das, dass sich dieses Wir heutzutage in einer wertefreien, von Medien- und Warenkonsum fast brach gewordenen Landschaft bewegt, in der Intellektuelle und Künstler_innen nur noch als Randfiguren wahrgenommen werden. In diese wertefreie Zone kommt nun die allseits verteufelte, arabische Familie an, soll sich so schnell, wie es nur geht, integrieren. Dass die Integration von einem selbst kommen muss, ist hierbei irrelevant. Sie werden alleingelassen. Solidarität ist schließlich nicht Mainstream und liefert keine Skandale. Doch woran sollen sich die Menschen dann festhalten? An Werbung etwa? An Floskeln und Phrasen und Sensationen und Spektakeln und sexistischen Werbeplakaten, die nicht nur den „arabischen Mann“ verwirren? An eine Halbsprache etwa, also an einen Halb-Humanismus? Haben wir uns irgendwo auf dem Weg verirrt?

II

Die Liebe zu der Welt, die wir erlebt und erfahren haben, macht es unmöglich, sich vorzustellen, daß es eine andere Welt geben könne, die ebenso real ist, und daß andere Werte geschaffen werden können, die ebenso sind wie die, die unser Leben kostbar gemacht haben.
Pier Paolo Pasolini

Die Gesellschaft ist vermeintlich derart fortgeschritten, dass sie Brücken bauen konnte, welche über die Gewalt drüber gehen, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Schließlich ist die Demokratie nichts anderes als das Instrument, das uns die Freiheit und Gerechtigkeit – zumindest für die Länge eines Menschenlebens – vorgaukeln kann. Das bedeutet nicht, dass die Gewalt nur in den Händen derjenigen weilen soll, die sich als sogenannte „Volksvertreter_innen“ in Sicherheit wiegen. Ziviler Ungehorsam muss als Kernbestandteil dieses fragilen Gebildes Demokratie bestehen bleiben. Damit meine ich nicht, die Leute mit irgendwelchen Demonstrationen abzuspeisen, die in diesen Teilen Europas mehr einer Duldung von Seiten der Behörden als einer wirklichen Demonstration gleichen. Ich meine jenen zivilen Ungehorsam, der ganze Städte, ja ganze Länder lahmzulegen vermag, ohne dabei in physische Gewalt auszuarten. Blicken wir nach Amerika, wo zum Womens March Landesweit Millionen von Menschen zusammentrafen. In Rumänien, wo gerade Hunderttausende von Menschen gegen die Ausbeutung durch Kleptokrat_innen demonstrieren. Nur mehr selten treten solche Formen zivilen Ungehorsams zutage. Vielmehr lassen sich diejenigen, die es am meisten verdient hätten, gehört zu werden, billig abspeisen von jenen, die einfache Antworten in Kombination mit trügerischen Emotionen liefern. Dabei tragen die rechten Schaumschläger_innen gar nicht mal Schuld an der maroden politischen Situation. Sie sind die Aasfresser, die Resteverwerter einer politischen Mitte, die zuerst die Arbeiter_innen, dann die Mittelschicht und zu guter Letzt sich selbst zerfleischte. Umso mehr verstört es, dass die hellsichtigen Prophezeiungen Pasolinis die traurige Gegenwart von heute darstellen.

III

"Es ist ein eigentümlicher Apparat"
Franz Kafka

Wenn es um die sogenannten Identitären und andere neurechte Gruppen und Parteien geht, muss ich immerzu an Kafkas In der Strafkolonie denken. Da steht einer und will dich ums Verrecken von einem maroden System überzeugen, von dem wir (aus Erfahrung) wissen, dass es nicht funktioniert, nicht funktionieren kann. Nur haben jene letzten Endes auch nicht den Anstand, selber in den Apparat zu springen und sich von ihm zerfleischen zu lassen.


Marko Dinić — geboren 1988 in Wien, Kindheit und Jugend in Belgrad, lebt in Salzburg. Ab 2008 Studium der Germanistik und Jüdischen Kulturgeschichte; seit 2012 Publikationen von Lyrik und Prosa in Anthologien und Zeitschriften wie Lichtungen, Kolik, JENNY, Lyrik von Jetzt 3. 2016 Teilnahme an den Tagen der deutschsprachigen Literatur. 2017 Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen.